Wie wird die Zukunft?
In der Frage steckt zunächst eine interessante Doppeldeutigkeit. Einerseits erfordert sie, dass man mental „in die Zukunft reist“. Und sich dort, quasi wie ein Tourist, umsieht. Was sehen wir? Aha, fliegende Autos... Das muss also die Zukunft sein. Andererseits steckt im „Was macht...?“ auch die Frage nach dem Produktionsprozess der Zukunft. Also: „Was treibt die Welt voran?“ Oder: „Nach welchem Prinzip funktioniert Wandel?“
Wenn der Begriff „Zukunft“ fällt, werden in unserem Hirn eine Reihe von Synapsen angesprochen, die den Begriff ankern und umgeben. Zukunft kann...
- ...etwas mit sehr persönlichen Wünschen oder Ängsten zu tun haben. Dann wird sie zur Frage: “Wie wird des mir irgendwann ergehen”? (die Lese-Motivation fürs Horoskop)
- ...mit einem inneren Weltbild verknüpft sein, einer Ideologie, einem bestimmten Denk-Muster, einer drängenden VISION, die bestätigt oder widerlegt werden will.
Es ist sehr schwer, die Zukunft außerhalb dieser Voreinstellungen zu denken. Die erste Motivation führt zu einer Verflachung, die zweite zum Klischee, zum „Future Bullshit“, wie er an jeder Straßenecke zu hören ist. Die Zukunft wird „immer schneller, virtueller, digitaler, gefährlicher, sensationeller“ und so fort. Der Zukunftsforscher ist EIGENTLICH dazu da, diese Klischees zu bestätigen. DANN wird er gehört. Wenn er spekulativen Unsinn erzählt. Dafür wird er gefeiert.
Futur 1: Lineare Steigerung der Gegenwart
Wie können wir aus dieser Falle entkommen? Es gibt grundsätzlich zwei Arten, die Zukunft mental zu konstruieren. Da ist zunächst die klassische Methode des “Futuristischen”. In dieser Variante – ich möchte sie hier “FUTUR 1” nennen – ist das Kommende eine lineare STEIGERUNG der Gegenwart.
Die Tradition dieser Denkweise stammt aus dem Gründungsmythos einer funktionalistischen Wissenschaft, die bestrebt war, das Universum in seine Einzelteile zu zerlegen. Albert László-Barabási, der Physiker und Netzwerk-Theoretiker, schrieb in seinem Buch “Linked”: “Hinter den meisten wissenschaftlichen Ansätzen des 20. Jahrhunderts steht die Idee des Reduktionismus. Um Natur zu verstehen, so heißt es, müssen wir sie in ihre Einzelteile auseinander nehmen. Die Vermutung lautet, dass wir, wenn wir erst die Teile genau kennen, das Ganze verstehen.” (nach Brooks, S. 108).
Auffällig ist, dass in klassischen Standard-Zukuntfsbildern selten Menschen zu sehen sind. Auf den vielen Utopie-Bildern von fliegenden Taxis, schlauen Robotern und smarten Hightech-Städten sind Menschen entweder kleine Würmer, die in gewaltigen architektonischen Gebilden herumwimmeln. Oder seltsam aus der Zeit gefallene Anachronismen. Da steigt dann der Papi mit Hut und Aktentasche ins Atomauto, und die Hausfrau winkt mit Schürze von der Tür des vollautomatischen Bungalows. Von neuen Rollenbildern und soziale Innovation keine Spur. Die Zukunft wird häufig auf technologische Weiterentwicklung reduziert.
Im FUTUR 1 ist die Frage nach der Zukunft des Menschen – oder des Menschlichen – ziemlich schnell beantwortet: Wir sind nicht so wichtig! Menschliches Verhalten und Erleben ist nur das RESULTAT übergeordneter Codes, die sich im Technischen, im Wirtschaftlichen, im großen, digitalen Beschleunigungsraum vollziehen. Liebeskummer? Scheidungskrisen? Elternfreuden? Nichts als Restbestände der Vergangenheit, also unserer heutigen Gegenwart.
Das FUTUR 1 gehört dem WUNDERN. Es lässt deshalb unsere inneren Synapsen aufleuchten, weil wir uns in geradezu kindischer Weise drüber freuen können, wie bunt, schnell, „geil“ alles geworden ist. Unsere Wünsche (oder Befürchtungen) werden befriedigt. Die Zukunft ist ein Themenpark mit dem Motto „Zukunft“. Ungefähr so wie die utopische Stadt, die George Clooney und der kleine Tom im Disneyfilm „Tomorrowland“ bewundern.
Futur 2: Vom Wundern zum Staunen
FUTUR 2 dagegen konstruiert Zukunft aus einem anderen mentalen Prozess, einer völlig unterschiedlichen Denkweise. Während beim Wundern unsere affektive kindliche Sensationslust befriedigt wird – unsere NEU-GIER –, verändert sich beim Staunen etwas in uns selbst. Wir machen eine Erfahrung, die uns selbst verändert und verwandelt. Unsere Synapsen ordnen sich neu. Wir produzieren die Zukunft – das Neue – IN UNS selbst, indem wir unsere Sichtweisen auf die Welt verändern. Das Wundern ist die passive Form der Erkenntnis, das STAUNEN die aktive.
Der spirituelle Gesundheits-Guru Deepak Chopra sagte: „Immer, wenn wir eine Wahl treffen, VERÄNDERN wir die Zukunft!“ Das ist typisches FUTUR-2-Denken. In FUTUR 2 entsteht das, was vor uns liegt, aus graduellen, evolutionären, kognitiven Schritten, die sowohl Subjekt wie Objekt, Innen wie Außen beinhalten. Zukunft ist das Produkt einer komplexen Evolution, in der WIR eine Rolle spielen.
In dieser Variante sieht die Zukunft möglicherweise gar nicht so furchtbar verschieden aus wie die Gegenwart. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Und das ist natürlich frustrierend, wenn das „Wesen“ der Zukunft – ihr kulturelles Konstrukt – darin besteht, dass sie sich radikal von der Gegenwart unterscheidet. Im FUTUR 2 wird die Zukunft vom Kopf auf die Füße gestellt. Sie ist keine Fiktion mehr, sondern „werdende Wirklichkeit“.
Pro-gnose heißt: etwas vor-schöpfen. In der komplexen Erzählweise ist die Zukunft kein homogener Raum, und deshalb lässt sich in diesem Modus die Frage, wie die Zukunft WIRD, nicht beantworten. Beziehungsweise die Antwort lautet immer: Es hängt von DIR ab! Von uns – und dem, was wir in diesem wunderbaren Moment erkennen. Zukunft ist das Produkt unendlich vieler Schleifen, Spiralen, in denen wir als Menschen mit den Möglichkeiten interagieren. Die Zukunft eine ENTFALTUNG. Ein Raum, der sich in die Komplexität hinein öffnet. Ein Raum der Möglichkeiten, der letztlich durch unsere spirituellen Kräfte geformt wird.
Die Philosophin Nathalie Knapp formuliert in ihrem Buch „Der unendliche Augenblick“: „Die Zukunft verursacht die Gegenwart. Die Zukunft kann nämlich ganz grundsätzlich nur deshalb aus der Gegenwart wachsen, weil ebendiese Gegenwart bereits vom Licht der möglichen Zukunft genährt wird.“
„Die Zukunft zeigt sich in uns, lange bevor sie eintritt”, formulierte Rainer Maria Rilke. Zukunfts-Forschung hieße dann, dass wir diesem inneren Ahnen lauschen. Und dafür müssen wir still sein. Und ganz aufmerksam. Sonst verscheuchen wir die Zukunft.
Ach, übrigens: Die Zukunft wird bunt, eckig, quadratisch, hochkant. Sie wird gefährlich, dramatisch, unausstehlich. Sie ist gruselig, bedrohlich und sensationell. Auch irgendwie günstig und komfortabel. Und irgendwie doch ganz normal, wenn man erstmal dort ist. Ganz sicher!
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