Retail-Trends 2023: Die Zukunft von Handel, Konsum und Einkaufen
Megatrends, die den Handel maßgeblich beeinflussen
Megatrends sind die größten Treiber des Wandels und somit die Basis auch für die Trendentwicklungen im Retail, denn indem sie alle Aspekte von Wirtschaft und Gesellschaft maßgeblich beeinflussen – nicht nur kurzfristig, sondern auf mittlere bis lange Sicht – erzeugen Megatrends epochale Veränderungen. Unerwartete Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine mit all seinen Folgen können sie zwar erschüttern und ihre Bedeutung für bestimmte Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft verändern, doch ihre Gültigkeit bleibt bestehen. So sorgt etwa die aktuelle Krisenpermanenz für einige Verschiebungen in Bezug auf die Bedeutung der Megatrends auf den Handel.
Konnektivität ist ein Megatrend, der den Einzelhandel seit der Entstehung des E-Commerce maßgeblich beeinflusst. In den letzten Jahren hat der Handel einen immensen Schub in Sachen Konnektivität gemacht. Vernetzung ist inzwischen zum Standard geworden. Viele technologischen Möglichkeiten, die bereits seit längerem theoretisch machbar waren, kommen nun auch in der Praxis erfolgreich zum Einsatz.
Aktuell ist die Gesellschaft von einem hohen Bedürfnis nach Sicherheit geprägt. Ging es während der Coronapandemie vor allem um ein Sicherstellen der eigenen Gesundheit, löst sich die enge Verknüpfung von Sicherheit mit Gesundheit nun wieder zunehmend. Der Krieg in Europa hat dem Megatrend Sicherheit eine neue existenzielle Dimension verliehen: Die Angst um das eigene Leben ist in den Fokus gerückt. Auch wenn diese Angst in vielen Fällen diffus bleibt, prägt sie die Gesellschaft und die kollektive Vorstellung von Zukunft. Dass Frieden keine Selbstverständlichkeit ist, erschüttert das gemeinsam geglaubte Werteverständnis. Und sorgt zugleich auch für eine Verschiebung und Neubewertung des Megatrends Globalisierung.
Es kündigt sich ein Ende jener Turbo-Globalisierung an, die die vergangenen 30 Jahre dominierte. Bereits während der Coronapandemie zeigten sich die weltweiten Abhängigkeiten und ihre Verletzlichkeit: Wertschöpfungsketten wurden disruptiert, es kam zu Grenzschließungen, Produktionsstopps und Lieferengpässen. Nun ist uns nicht nur klar geworden, wie fragil das globalisierte Wirtschaftssystem aufgebaut ist, sondern es zeigt sich zudem deutlich, dass sich die Welt in Richtung einer multipolaren Weltordnung verschiebt.
Es werden Debatten geführt, inwieweit entwickelte Länder und Regionen ihren Wohlstand auf Kosten weniger gut aufgestellter Regionen gründen dürfen oder mit welchen politischen Systemen man Geschäfte machen darf. Die Globalisierung löst sich von der „Anything-goes“-Mentalität. Die Annahme, dass auch die Ärmeren vom Wirtschaftswachstum und Wohlstand westlicher Gesellschaften profitieren werden, lässt sich kaum noch aufrechterhalten. Die Forderung nach einer ethisch-moralischen Form der Globalisierung wird lauter.
Ein Teil der Lösung ist der Trend zur Glokalisierung und zur Re-Regionalisierung. Offshoring und Nearshoring sind Modelle, um Produktion und Lieferketten resilienter und nachhaltiger aufzustellen. Hierbei geht es nicht um eine Abschottung oder eine komplette Rückverlagerung der Produktion in die nähere Umgebung, sondern um ein neues Abwägen, welche Auslagerungen wirklich sinnvoll sind und welche das System in Zeiten der Stapelkrise noch störanfälliger machen. Daraus kann sich eine verantwortungsvolle Globalisierung entwickeln, bei der sich Wohlstand gerechter verteilt.
Vom Wirtschaftssystem zum Wertesystem
Gerechtigkeit, Verantwortung, Fairness – all diese Werte sind auch Teil des Megatrends Neo-Ökologie, dem wichtigsten Megatrend unserer Zeit. Inzwischen ist klar, dass sich globale Krisen nur gesamtgesellschaftlich über Grenzen und Kontinente hinweg lösen lassen. So kann auch die Lösung der Klimakrise nur gelingen, wenn sich sämtliche Gesellschaftsbereiche neu ausrichten auf ein neues Nachhaltigkeitsparadigma.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Transformation der Wirtschaft in Richtung eines progressiven Postwachstums, das in Zeiten von Stagnation und Rezession sowieso unumgänglich ist. Die Frage nach dem Sinn und Zweck des Wirtschaftens sowie eine Ausrichtung am Gemeinwohl mit den Werten Vertrauen, Wertschätzung, Solidarität und ökologischer Nachhaltigkeit lösen das reine Profit-Denken ab. Die Verhaltens- und Sichtweisen der globalen Gesellschaft, der Kultur und der Politik werden durch dieses Nachhaltigkeitsparadigma verändert – und unternehmerisches Handeln sowie das gesamte Wirtschaftssystem fundamental neu ausgerichtet.
Besonders interessant für den Handel sind auch die Entwicklungen um den Megatrend Gesundheit. Gesundheit ist als Fundamentalwert tiefer denn je im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert. Als Synonym für hohe Lebensqualität prägt der Megatrend sämtliche Lebensbereiche. Das Streben nach Gesundheit durchdringt unseren Alltag und definiert als Lebensziel ganze Lebensstile. Dieses allumfassende Gesundheitsbewusstsein in der Gesellschaft treibt soziokulturelle Entwicklungen voran und schafft viele Anknüpfungspunkte für den Handel. Health-Trends und individuelle Healthstyles werden bei Konsumentscheidungen für oder gegen Lebensmittel, Gadgets, Alltagsgegenstände, Kleidung etc. zunehmend wichtig.
Retail-Trends als Orientierungshilfen
Während Megatrends das große Ganze für Gesellschaft und Wirtschaft aufzeigen, können Retail-Trends als Frühwarnsysteme verstanden werden, die ganz konkret Orientierung in dynamischen Handelsmärkten geben. Mit der Visualisierung der Retail-Trend-Map möchten wir beide Sphären vereinen und Ihnen ermöglichen, sowohl die Trendentwicklungen in der Handelsbranche wahrzunehmen, als auch diese Retail-Trends in ihrem großen Kontext zu verstehen – und zu erkennen, welche weltumspannenden Veränderungen dahinterstecken.
Wir verstehen die aktuellen Retail-Trends, die wir Ihnen hier präsentieren, als strategische Orientierungshilfen in dem unübersichtlichen Dschungel von Trends, Moden und Hypes. Sie erleichtern eine kritische Beurteilung des eigenen Handelns und des Potenzials von neuen Produkten und Dienstleistungen.
1. Retailverse – Die Entwicklung des Handels im Metaversum
Das Metaverse ermöglicht es Marken und Handelsunternehmen, die Konsumierenden dort zu treffen, wo sie sind, und Teil ihrer Lebensrealität zu werden. In Zukunft liegt der Fokus auf real-digitalen Erfahrungen und Erlebnissen, die echte Nähe schaffen, denn der aktuelle E-Commerce ist hochgradig effizient, aber er leidet unter der fehlenden sozialen Funktion, die dem klassischen Handel innewohnt.
Die Best Practices von Nike, Adidas, Samsung, Kaufland und Co. zeigen auf, welche neuen Möglichkeiten der Interaktion sich durch die Mechanismen des Metversums ergeben – und dass diese keineswegs ferne Zukunftsmusik sind.
Trendprognose Retailverse
Das Metaversum wird den Handel nicht von heute auf morgen umkrempeln. Vielmehr bieten diese virtuellen Welten eine Spielwiese und Experimentierräume für den Shift weg vom Verkaufen klassischer Produkte und Dienstleistungen, hin zu mehr Interaktion mit den Menschen. Das Metaverse ist nicht nur ein weiterer Kanal und Touchpoint zu Konsumierenden, sondern ein Ort, an dem man lebt, ein Place to be, aber auch eine Welt, in die man sich flüchtet, weil man eine Auszeit vom Alltag sucht.
Wer Retail mehr als Spiel versteht und mit Leichtigkeit, Neugier und Playfulness in diese virtuelle Welten eintaucht und mit den Menschen dort vor Ort ins Gespräch kommt und ihnen zuhört, hat die Basis geschaffen, um den Wandel von Online-Shops und digitalen Verkaufsplattformen ins Retailverse zu vollziehen – auch wenn dieses sich erst in den kommenden Jahren entfalten wird.
2. C2M – Customer to Manufacturer
Produziert wird erst, wenn nachgefragt wird. Das neue Business-Modell C2M hat die Kraft, die Vertriebslogik auf den Kopf zu stellen und dem Online-Handel einen neuen Spin zu geben. Community-orientierte Plattformen machen’s möglich. Die Plattformökonomie hat im Handel bereits zu großen Disruptionen geführt. Nun schicken sich neue Player an, Konsumierende und Hersteller direkt zusammenzubringen. Neben B2C und B2B wird C2M die Zukunft prägen und den E-Commerce grundlegend verändern.
Direct to Consumer hat mit dem Beginn der Coronapandemie nochmals an Beliebtheit gewonnen. Das C2M-Modell geht noch einen Schritt weiter und lässt Marken nun außen vor, indem Fabriken direkt mit den Konsumierenden verbunden werden. Oder besser gesagt: Die Konsumierenden können direkt mit der Fabrik, mit der Fertigung in Kontakt treten. Online-Plattformen sind die perfekten Orte, die Consumer und Manufacturer zusammenbringen. Sprich: C2M macht es möglich, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst die Nachfrage nach bestimmten Produkten initiieren, die dann direkt an die Produktion weitergegeben wird. Möglich wird das durch die Integration von Big Data, Cloud Computing sowie die Anwendung von KI-gestützter Datenanalyse. Mass Customization und Made to Measure scheinen bald in großem Stil für kleines Geld möglich, denn wer erst auf Nachfrage produziert, kann auch auf individuelle Wünsche eingehen und unterschiedliche Produktoptionen anbieten.
Trendprognose C2M
Konsequent umgesetzt führt C2M zu einer neuen Revolution in der Produktion und Supply Chain. Vertikale Retailer müssen sich mit diesem neuen Business-Modell auseinandersetzen, auch wenn es aktuell noch ein Nischenphänomen ist. Denn Online-Plattformen bieten dem Prinzip die Chance, aus der Nische in den Massenmarkt zu gelangen und die E-Commerce-Landschaft zu verändern. Es eröffnen sich dadurch nicht nur neue Märkte für Hersteller, sondern C2M wird auch den Anforderungen und Wünschen der Konsumierenden nach individuelleren Waren und Dienstleistungen besser gerecht. Befeuert wird dieser Trend zudem durch die wachsende Rolle, die Online-Communitys und Social Media für Kaufentscheidungen spielen.
3. Rural Retail – Das Potenzial des Handels am Land
Die Eroberung des ländlichen Raums zeichnet sich ab. Der Fokus des Handels liegt zwar seit Jahrzehnten auf den Zentren – online wie offline. Doch ein Blick darüber hinaus zeigt, dass sich ausgerechnet auf dem Land neue Potenziale und Märkte erschließen lassen.
Während traditionelle Handelsunternehmen sich gerne auf Großstädte und schillernde Metropolen konzentrieren, schauen immer mehr digitale Pioniere und Vorreiterinnen auf das Land, um neue Potenziale zu erschließen. Denn genau dort, wo sich zwischen Vogelgezwitscher und Kirchenglockengeläut vermeintlich nicht viel tut, verbirgt sich Innovationspotenzial.
Nur langsam entstehen neue Konzepte und Pilotprojekte, um Konsumentinnen und Konsumenten auf dem Land besser zu erreichen – und um Angebote und Services zu schaffen, die über die Grundversorgung im ländlichen Raum hinausgehen. Wer sich als Vorreiter ins Dorf traut, der kann aus dem Vollen schöpfen. Denn die Konkurrenz ist (noch) gering und die Kundschaft bereit für auf sie zugeschnittene Angebote. Das Land im Blick zu haben lohnt sich, denn die Kaufkraft abseits der Metropolen wächst.
Trendprognose Rural Retail
Die Zukunft liegt auf dem Land! Die Rural Retail Revolution wird einige der signifikantesten Veränderungen in der Retail-Landschaft der nächsten Jahre anstoßen. Die großen Shoppingplattformen ebnen den Weg und bieten kleinen Playern und lokalen Stores viele Anknüpfungspunkte. Innovative Pop-ups im vermeintlichen Nirgendwo beleben auch verschlafene Nester. Hinter den Kulissen spielt Infrastruktur die zentrale Rolle. Innovatoren erschließen den ländlichen Raum durch partizipative Konzepte für die letzte Meile.
Langfristig werden sich Business Ecosystems auf dem Land herausbilden: Logistik- und Service-Netzwerke, die unternehmerische Aktivität für die speziellen Bedürfnisse ländlicher Kontexte neu denken.
4. Zero Waste Packaging
Verpackungen können die Seele eines Produkts ausdrücken – sind jedoch gleichzeitig ein riesiges Müllproblem. Alternative Lösungen, die Packaging von Grund auf neu denken, stehen glücklicherweise bereits in den Startlöchern.
Die aufwendige Gestaltung von Verpackungen wird nicht nur von den Käuferinnen und Käufern eines Produkts selbst genossen. Unboxing-Videos auf YouTube, TikTok und Co. halten die Momente des Auspackens für ein Millionenpublikum fest. Denn Verpackungen haben nicht nur eine Schutzfunktion für den Transport der Ware – an ihnen haftet auch das zauberhafte Gefühl einer neuen Errungenschaft. Verpackungen sind sowohl die Projektionsfläche eines Werbeversprechens als auch der erste handfeste Kontakt mit der Ware, die erstanden wurde. Doch die Realität sieht meist anders aus: übergroße Kartons, umständlich verklebt und mit wenig ansprechendem Füllmaterial. Und selbst wenn die Verpackung unser sinnliches Erleben steigert, landet sie doch meist am Ende im Müll. In der Ära des boomenden Online-Handels wird das zu einem immensen Umweltproblem.
Gesetzliche Vorgaben aus der Politik werden strenger und das Umweltbewusstsein der Verbraucherinnen steigt. So beschreibt der sozialpolitische Trend Green Pressure genau diesen immer stärker spürbaren Druck zum ökologisch verantwortungsvollen Handeln, der vonseiten der Politik, der Konsumierenden, aber auch durch progressive Wettbewerber ausgeübt wird. Es ist an der Zeut, die Verpackung als solche neu zu denken und sie nicht von vorneherein als notwendiges Übel zu begreifen, sondern ihr einen Wert beizumessen. Es braucht ein neues Verständnis davon, was Verpackungen künftig leisten sollen; hierfür reicht es nicht, nur an einzelnen Punkten anzusetzen, sondern die gesamte Supply Chain muss einer kritischen Analyse zur Optimierung unterzogen werden. Eine wichtige Entwicklung ist dabei das Modell Packaging as a Service bzw. Circular Packaging as a Service. Dieses Business-Modell reagiert auf das Bedürfnis nach umweltverträglichem Konsum, der sich im Alltag leicht integrieren lässt. Die Verpackung wird dabei nicht als Verbrauchsmaterial angesehen, sondern als Investitionsgut der Produzenten und Dienstleister.
Trendprognose Zero Waste Packaging
Nachhaltigkeit wird zu einem Wirtschaftsfaktor. Aus diesem Grund wird der Trend zu Zero Waste Packaging in den kommenden Jahren weiter an Fahrt aufnehmen. Es geht künftig nicht mehr ausschließlich um eine Reduktion, sondern vor allem um eine Aufwertung von Verpackungen. Verpackung wird zu einem Investitionsgut. Hochwertige und robuste Materialien sind entscheidend für die Langlebigkeit und Re-Usability. Zudem muss sich das Rückgabe- bzw. Mehrfachnutzungssystem mühelos in den Lifestyle der Konsumierenden integrieren lassen.
Wer sich als Händler oder Marke bereits heute gut aufstellen will, sollte über Kooperationen mit Start-ups und Dienstleistern aus dem Bereich Packaging as a Service nachdenken oder sich Pilotprojekten anschließen bzw. diese initiieren. Es braucht kluge Lösungen, die der Handel nur gemeinsam mit der Verpackungsindustrie und der Logistikbranche umsetzen kann. Nur so können Packaging-Kreislaufsysteme künftig zum Standard werden.