Zukunftsthemen

Wird der Veganismus siegen?

Geschrieben von Zukunftsinstitut | Dec 3, 2022 8:37:48 PM

“Was, Du isst noch Fleisch?” Ein mildes, fast diabolisches Lächeln zeigt sich auf dem Gesicht meines weiblichen Gegenübers. Nein, das ist keine Körner-Veranstaltung, kein Hort von hartgesottenen Musli-Dogmaten. Es ist die Vorweihnachts-Party einer kreativen Werbeagentur  in einer deutschen Grossstadt. Das Büffet ist weitgehend vegan, und ich hatte mich an einer leicht versteckt platzierten Schüssel mit Hühnerspiessen ganz rechts in der Ecke vergriffen. Die Frau, die mich daraufhin zur Rede stellte, sah so aus, wie GewinnerInnen heute aussehen: Selbstbewusst und gesund, gestählt durch Yoga und bildschöne Magersucht.

Zunächst lässt sich konstatieren: In den meisten spätindustriellen Ländern befinden wir uns heute jenseits von PEAK MEAT. In Deutschland und der EU stagniert der Fleischverbrauch, in den USA geht er seit 6 Jahren deutlich zurück, übrigens ebenso wie die Zahl der gefahrenen Auto-Kilometer. Fleisch ist, so wird es zunehmend in den Zeitungen verhandelt, ein Suchtproblem, mindestens so schlimm wie Zigarettenrauchen, das jedoch eher die eigene, nicht die Gesundheit des Planeten beschädigt. So sieht es aus. Wer möchte  angesichts der grauenhaften Verhältnisse in den Mastfabriken, des irrwitzigen tierisch-militärischen Komplexes, der die Erde mit seinen Düngemassen, Giftgasen und ethischen Verrohungen verseucht, ernsthaft  bezweifeln, dass wir es mit einem Mega-Problem zu tun haben?

Aber auch einem “Megatrend”? 

Eine Reportage auf SPIEGEL-ONLINE hat mich etwas nachdenklich werden lassen. Unter dem Titel “GLÄSERNER SCHLACHTHOF IN DÄNEMARK:TÖTUNG INKLUSIVE.” wurde dort über den “Show-Schlachthof” des Fleischkonzerns Danish Crown in dem kleinen Örtchen Hortens berichtet. Und seine Wirkungen auf die öffentliche Meinung.

Täglich laufen hier 20.000 Schweine durch ein perfektes industrielles Zerlegungs—System, das von 200.000 Besuchern, davon ein Viertel Schulkindern,  pro Jahr besichtigt wird. Edutainment mit Blut und interaktiven Erklärungs-Bildschirmen. Motto: Wir haben nichts zu verbergen, wir haben im Gegenteil viel zu zeigen. Hochmodernes Design, perfekte Hygiene, nur beim “Entdärmen” der armen Schweine stinkt es ein wenig bis hinauf auf die Besucherränge. 

Auf einem Förderband fahren große Fleischteile langsam an Arbeitern mit blauen Schürzen, weißen Arbeitsschuhen und groben Kettenhandschuhen vorbei, die immer gleiche Schnitte machen. Vollautomatisch sortieren Maschinen die Kisten voller Fleischstücke und befördern sie zu den Packstationen. Binnen einer knappen Stunde werden hier lebendige Schweine zu Schinken und Koteletts verarbeitet.

Warum interessieren sich so viele Menschen für einen Ort des Grauens? Die Akzeptanz für das Fleischessen steigt tatsächlich nach dem Besuch der Anlage. Besonders bei Kindern und Jugendlichen.  Jede Frage wird beantwortet, man darf fotografieren, SOLL  es sogar. Besucher berichten von einer seltsamen, fast künstlerischen Faszination, die von dem perfekten hygienischen Schauspiel ausgeht, den langen Förderbändern, auf denen perfekt ausgeschnitten Schweineteile laufen, den Metzgern in langen Reihen, die trotz allem Blut immer saubere Kittelschürzen zu tragen scheinen. Weil durch die extrem hohe Effektivität wenig Mitarbeiter gebraucht werden, kann man ihnen hohe Löhne bezahlen.

Die letzte Besuchergalerie auf dem Rundgang ist karger als der Rest - keine multimedialen Erklärbildschirme mehr, keine warmen Farben, nur große Fenster mit Blick auf die Fließbandtötung: In einem geschlossenen Fahrstuhl fahren die Schweine neun Meter unter die Erde, wo sie mit Kohlendioxid betäubt werden. Bewusstlos tauchen sie auf einem Förderband wieder auf, werden am Hinterbein aufgehängt und zur Tötungsstation transportiert. Ein Mann sticht den Tieren mit einer Art Hohllanze direkt in die Hauptschlagader, das Blut wird über einen angeschlossenen Schlauch abgepumpt - kein Tropfen ist zu sehen - und später zu Tierfutter verarbeitet. Fließbandarbeit, alle paar Sekunden ein Schwein, ein Stich.”

Wäre jeder Schlachthof so aufgebaut und so transparent, dann gäbe es in der Branche vermutlich weniger ausgebeutete Arbeiter, weniger unbetäubt getötete Schweine und kaum noch Skandale. Selbst Vegetarier haben nach dem Rundgang wenig zu meckern", sagt Tourleiterin Poulsen.

In der Debatte um das Fleisch treffen tiefe Begierden auf ebenso tiefe Gefühle der Angst und des Ekels. Unser Verhältnis zur Natur - das grosse deutsche Obzessionsthema - prallt auf die grundlegende Frage des Weltvertrauens. Im Tier, so scheint die emotionalisierte Debatte zu suggerieren, töten und misshandeln wir uns selbst. Aber kann man “anständig” töten? 

Ist es Zufall - oder eine Perfidie der Fleischlobby? - dass gleichzeitig blutige Zeitschriften wie BEEF prosperieren? Dass starke Frauen um die 50 in unserem Bekanntenkreis den JAGDSCHEIN machen? Vielleicht sehnen wir uns nicht nach Gemüse, sondern nach einem anderen, ehrlicheren Verhältnis zum Tier, zum Töten.

Meine Prognose: JA, der Fleischverzehr wird langsam weiter zurückgehen. Das ist mehr als gut so. Die schrecklichen Exzesse dieser Branche sind am Ende angelangt. Aber wie die grünen Moralisten von einst heute gerne verbrauchsgeregelte SUVS fahren, wird uns auch das Fleisch nicht vom Haken lassen. FLEISCH erzählt uns  eine tiefere Geschichte: Die von der Evolution, die eben nicht eine harmonische Nachhaltigkeits-Veranstaltung ist. sondern auch eine Erzählung von Dominanz und Tod. Im Fleischessen liegt ein tieferes Fieber als nur Ernährungsfragen. Es abzuschaffen, hiesse eine fundamentale Dimension des Menschlichen zu eliminieren. Aber so einfach kommen wir da nicht raus. Und deshalb wird FLEISCH immer, wie sich das bei einem echten Megatrend gehört, ein kräftiges RETRO erleben.