Virtuelle Influencer: Echt?!
Schon lange nehmen uns Influencerinnen und Influencer im Netz mit auf Reisen in ferne Länder, entführen uns in Gaming-Welten oder kochen mit uns exotische Gerichte. Seit einiger Zeit werden sie ergänzt durch eine neue, virtuelle Spezies, die rasant an Popularität gewinnt – und ebenfalls schon eine große Bandbreite unterschiedlicher Persönlichkeiten generiert hat: Virtuelle Influencer (VI), die mittels Computer Generated Imagery (CGI) erzeugt werden.
Auf Instagram, TikTok und Co. agieren VI wie reale Menschen mit eigenen Social-Media-Kanälen, gefolgt von einer treuen Fan-Community aus vor allem jüngeren Nutzerinnen und Nutzern. Die Follower-Zahlen gehen in die Hunderttausende, VI zieren Magazin-Cover und geben sogar Konzerte vor Publikum.
Grundsätzlich lassen sie sich 4 Kategorien zuordnen:
- Virtuelle Models arbeiten im Grunde genauso wie ihre realen Kolleginnen und Kollegen. Shudu Gram ist eines der erfolgreichsten Beispiele – in den australischen und arabischen Ausgaben der Vogue hatte sie bereits eigene Fotostrecken.
- Markenunabhängige VI geben Einblicke in ihr Leben und gehen Kooperationen mit Unternehmen ein – so wie ihre „echten“ Kollegen. Lil Miquela beispielsweise arbeitet mit hochkarätigen Marken zusammen, posiert mit Prominenten und ist bekannt für ihre progressive politische Haltung.
- Virtuelle Markenbotschafter sind Produkte eines Unternehmens und entsprechen damit, anders als markenunabhängige Testimonials, voll und ganz deren Vorstellungen. So ließ die Fastfood-Kette KFC ihren Gründer Colonel Sanders digital auferstehen als extravaganten Lebemann, um der Marke einen Lifestyle-Touch zu geben.
- Corporate-Influencerinnen wie Instagram-Avatar Kenna sind in Unternehmen „angestellt“ und gewähren ihrer Followerschaft Einblicke hinter die Kulissen. So ließ Kenna ihre Fans regelmäßig an ihrem Praktikum teilhaben, das sie in der Produktentwicklung einer Kosmetikmarke absolvierte.
Was ist „echt“ – und wer trägt Verantwortung?
Ein wichtiger Faktor für den Erfolg der VI ist die Tatsache, dass sie keine Privatsphäre im eigentlichen Sinne haben: Sie posten ihre Hobbys, Vorlieben und Sorgen – und simulieren in ihrem Streben nach Authentizität oft besonders intensive Formen von Nahbarkeit, gewähren noch tiefere Einblicke als ihre Kolleginnen aus Fleisch und Blut. Indem VI die Grenzen zwischen digitaler und realer Welt verschwimmen lassen, werfen sie erneut eine Frage auf, die das Internet und vor allem soziale Medien seit Anbeginn begleitet: Was ist „echt“?
VI zeigen dabei vor allem, dass „real“ im Social Web ein fließender Begriff ist: Nutzerinnen interagieren mit den virtuellen Charakteren wie mit realen Influencern und nehmen sie auch als solche wahr. Macht es da einen Unterschied, dass sie nur aus Einsen und Nullen bestehen? Im juristischen Kontext sicherlich. Daher gilt es, den Einsatz von VI rechtlich abzusichern, denn juristisch belangbare Personen können sie nicht sein. Ihre Auftritte brauchen daher ein Impressum, das klarstellt, wer hinter ihnen steckt – ebenso, wie ihre Virtualität transparent kommuniziert werden sollte.
Von der virtuellen Welt nach Hollywood?
Noch herrscht beim Einsatz virtueller Influencerinnen eine Art Wildwest-Stimmung, weshalb im Moment alles möglich scheint. War die Programmierung in der Vergangenheit überaus komplex, hat sie sich in jüngster Zeit dank nahezu selbsterklärender Technik deutlich vereinfacht. Welche Prognose lässt sich vor diesem Hintergrund für die Zukunft der VI treffen?
Mit zunehmender Akzeptanz von VI ist denkbar, dass sie sich auch in anderen Bereichen etablieren, abseits des Social Webs. Schon jetzt begeistern CGI-Charaktere mit Live-Auftritten ihr Publikum. Mit fortschreitender Technik ist auch ein VI-Hollywood-Star, der neben Leonardo DiCaprio oder Meryl Streep als Hauptrolle auf der Leinwand zu sehen ist, keine reine Fantasievorstellung mehr. Gibt es bei der Oscar-Verleihung irgendwann die Kategorie „Beste Virtuelle Hauptdarstellerin“?
Immer mehr rückt zudem die Frage ins Zentrum, wie sich „reale“ und CGI-Influencer künftig sinnvoll ergänzen, je nach Kommunikationsziel und Kampagnen-Strategie. VI könnten dann zum Beispiel dort einspringen, wo die Kooperation mit echten Menschen zu aufwendig wäre, oder direkt mit ihren realen Kolleginnen kooperieren. Das wird VI einen weiteren Echtheits-Credit geben – und die Grenze zwischen physischer und computergenerierter Wirklichkeit weiter verschwimmen lassen.
Bild: Instagram/KFC