Heutige Jugendliche sind aufgewachsen in einer digitalisierten, vernetzten, globalisierten Welt. Sie sind es gewohnt, mit vielen Reizen gleichzeitig umzugehen. Und sie entwickeln dabei neue Kompetenzen: eine Gelassenheit im Umgang mit kontinuierlichem Wandel, eine Präferenz für intrinsische Motivationsmechanismen, eine neue Orientierung an nachhaltigen Werten wie Sinnhaftigkeit und Gemeinwohl.
Bei alledem ist die Liquid Youth geprägt von einem neuen „Peer-Group-Individualismus“, von einer intensivierten Ich-Wahrnehmung in relevanten Wir-Kontexten. Diese Grunddisposition lässt scheinbar widersprüchliche Wünsche entstehen, die das Arbeits-Mindset der Liquid Youth prägen: Einerseits fordern und erwarten Jugendliche in Arbeitsverhältnissen ein erhöhtes Maß an Autonomie, Selbständigkeit und Flexibilität, also die klassischen Kennzeichen der neuen „Creative Class“. Andererseits sehnen sie sich nach der Sicherheit stabiler Rahmenbedingungen, also nach der Verlässlichkeit klassischer Karrierestrukturen.
Ambivalent nehmen Jugendliche auch ihre eigene Situation auf dem Arbeitsmarkt wahr. Sie sind aufgewachsen in Zeiten des Wohlstands und der Multioptionalität, aber zugleich konfrontiert mit verschärften Zugangsbedingungen zum Wunschstudium oder Traumjob. Seit 2004 ist fast jede zweite Neueinstellung in Deutschland zeitlich begrenzt, 2012 wurden nur 39 Prozent der befristet Angestellten übernommen (Hoffmann & Pokorny 2014). Diese grundsätzliche Ungewissheit, die Heranwachsenden oft schon in der Schule bewusst ist, erhöht den individuellen Druck. Gerade Hochqualifizierten macht sie aber auch den eigenen Marktwert in der Kreativökonomie bewusst.
Dieses Selbstbewusstsein kann vorschnelle Urteile über junge Mitarbeiter begünstigen. Etwa den Mythos vom mangelnden Leistungswillen heutiger Jugendlicher. So fragte die „Zeit“: „Wollen die auch arbeiten?“ – ein klassisches Beispiel für die Tendenz zu pauschalisierenden Jugendbeschreibungen, die insbesondere im Medienbereich beobachtbar ist. Tatsächlich aber sind heutige Jugendliche leistungsbereiter denn je. Laut der Shell-Jugendstudie finden 83 Prozent der 12- bis 25-Jährigen Fleiß und Ehrgeiz wichtig, um im Leben erfolgreich zu sein, zehn Prozent mehr als noch 2006 (Albert et al. 2010). Andererseits erwarten insbesondere junge Arbeitnehmer Freiräume zum eigenverantwortlichen Mitgestalten – und nur in solchen Kontexten kann sich der Leistungswille entfalten.
Das Leistungsdenken der Liquid Youth erschließt sich also erst durch den Bezug auf die komplexen Gesetzmäßigkeiten der Netzwerkgesellschaft. Aus dieser Perspektive lassen sich auch die Eckpfeiler des jugendlichen Work-Life-Mindsets umreißen.
Junge Mitarbeiter haben heute individuellere Ansprüche, sie wünschen sich mehr Teilhabe und Mitgestaltung. Insbesondere hochqualifizierte Berufseinsteiger und Young Professionals sind immer weniger bereit, sich an Bedingungen anzupassen, die nicht ihren Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Diese Erwartungshaltung entsteht schon in Schule und Ausbildung. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann spricht deshalb von einem „pädagogischen Dienstleistungsanspruch“ gegenüber Schulen und Lehrern: Schüler würden Lehranstalten zunehmend als „Serviceinstitutionen“ betrachten, mehr Innovation im Lehrbetrieb fordern und Lehrer dabei als Verbündete einbeziehen (Hurrelmann 2014 (b)).
Auch im Arbeitsleben geht es für Jugendliche nicht mehr darum, sich einem System anzupassen. Eher hat sich das System den neuen Bedürfnissen anzupassen. Das gilt bereits Kontinuierlicher Wissensaufbau als strategische Investition bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen: Unternehmen müssen zunehmend auf potenzielle Mitarbeiter zukommen, nicht umgekehrt. Die alte industriegesellschaftliche Regel „People follow Jobs“ wird umgekehrt in die New-Work-Devise „Jobs follow People“. Junge Mitarbeiter verstehen sich tendenziell als „Egopreneure“, als Unternehmer im Unternehmen. Sie möchten in möglichst flachen Hierarchien möglichst viel bewegen und erwarten dafür entsprechende Freiräume und Verantwortlichkeiten. Damit einher geht eine neue Arbeitsmoral: Solange der Dienst nicht nach Vorschrift erfolgen muss, sondern eigenständig und flexibel gestaltet werden kann, ist das persönliche Engagement umso höher.
Eine ebenso zentrale Rolle spielt das Thema Bildung. „Neugierig bleiben und sich immer weiterbilden“ zählt für 85 Prozent der 20- bis 35-Jährigen zu den wichtigsten Lebenszielen (Zukunftsinstitut 2013). Ein kontinuierlicher Wissensaufbau garantiert mehr Beweglichkeit und persönliche Autonomie. Er wird aber auch als strategische Investition in die eigene Absicherung betrachtet. Jugendliche sind sich heute bewusst, dass auf Staat und Arbeitgeber immer weniger Verlass ist. Auch das trägt dazu bei, dass Bildungswege frühzeitig geplant und kontinuierlich gemanagt werden.
Das jugendliche Arbeitsverständnis ist ausgerichtet auf Autonomie und Selbstentfaltung – aber nicht auf Selbständigkeit. Zwar nehmen 40 Prozent der 16- bis 19-jährigen US-Amerikaner an, dass sie später selbständig arbeiten werden, 63 Prozent möchten sogar, dass Unternehmertum an der Uni gelehrt wird (Schwartz 2014). Doch Selbständigkeit ist dabei weniger ultimatives Ziel als eine Folge wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Die jungen Egopreneure sind keine Entrepreneure in spe, sondern auch hier ambivalent gepolt: Sie wollen frei sein – innerhalb verlässlicher Strukturen. Denn eine optimale Ich-Entfaltung ermöglichen erst die richtigen Wir-Kontexte.
In der Netzwerkgesellschaft sind Konnektivität und Kollaboration erfolgsentscheidend. Einzelkämpfer haben keine Chance. Eine hochwertige Vernetzung ist deshalb ein zentraler Aspekt für berufliche wie private Erfolge. Die hochgradig vernetzte Liquid Youth hat dieses Wissen in besonderem Maße verinnerlicht. Die Einbettung in neue, frei gewählte Sozialgefüge zählt deshalb zu den zentralen Wünschen heutiger Jugendlicher.
Diese „Wir-Kultur“ spiegelt sich auch in dem neuen jugendlichen Arbeitsverständnis. Sie kann sich zum Beispiel als lokales Zugehörigkeitsgefühl äußern: So flexibel die Liquid Youth ist – ein internationales Arbeitsumfeld finden nur 36 Prozent der 20- bis 35-Jährigen attraktiv (Zukunftsinstitut 2013). Hier entstehen neue Chancen für regionale Mittelständler, traditionsreiche Familienunternehmen oder kleinere, spezialisierte Betriebe. Stärker als Global Player oder hippe Marken können sie authentische Wir-Werte anbieten, die Jugendliche wertschätzen: verlässliche, überschaubare Organisationsstrukturen, ein teamorientiertes Miteinander, den direkten Kontakt mit Führungskräften.
Wir-Werte können sich aber auch in den Wertevorstellungen äußern, für die ein Unternehmen steht. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen findet es wichtig, dass sich Unternehmen für Klima- und Umweltschutz engagieren, und 86 Prozent lehnen Arbeitgeber ab, die primär auf Gewinnmaximierung aus sind (Medienfabrik 2014). Auch ein ganzheitlicher Fokus auf Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility schafft Zusammengehörigkeitsgefühle, die Jugendlichen wichtig sind.
„Mehr Wir“ kann für die Liquid Youth aber auch heißen: mehr private Sozialkontakte – und weniger Fokus auf Arbeit, Job und Karriere. Kaum ein 18- bis 35-Jähriger würde heute für einen attraktiven Job oder ein gutes Gehalt Abstriche bei sozialen Kontakten oder Freizeit machen (Neon 2014). Wenn das Gehalt überhaupt eine wichtige Rolle spielt, dann als Vehikel zur Selbstentfaltung in privaten Kontexten. Oder sobald das Thema Familiengründung akut wird: Dann wird die ökonomische Absicherung wichtiger – und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
In der Netzwerkökonomie wird die Grenze zwischen Beruf und Privatleben immer unschärfer. Zum einen, weil das Zusammenwachsen von physischer und digitaler Welt einen mobilen Always-on-Lifestyle mit flexiblen Arbeitsorten und -zeiten begünstigt. Zum anderen, weil die Ära der Selbstaufgabe für den Job schlicht vorbei ist: Die „Work-Life-Balance“ wird immer stärker intrinsisch in das Leben integriert. Jugendliche sind Pioniere dieses Work-Life-Blendings und verbreiten ein neues, hybrides 2-in-1-Arbeitsverständnis: Beim Arbeiten wird gelebt, und beim Leben wird gearbeitet. Arbeit ist immer weniger das traditionelle Arbeitenmüssen und immer mehr das selbstbestimmte Arbeitenwollen und -können. Ein Job wird nicht mehr als Zwang zur Sicherung des Lebensunterhalts betrachtet, sondern als eine Tätigkeit, die stolz machen und erfüllen soll. Das ganze Konzept der Arbeit wird ganzheitlicher gestaltet und subjektiviert.
Besonders ausgeprägt ist diese Tendenz bei den jüngeren Jugend-Jahrgängen, die einen dezidiert mobilen Digital Lifestyle führen. Sie sind immer weniger gewillt, sich dauerhaft an Unternehmen oder Personen zu binden, sondern denken eher in temporären Zugehörigkeiten. Ein erfülltes Arbeitsleben bedeutet die aktive Partizipation an Projekten, die sie persönlich interessieren. Insgesamt ist die Liquid Youth damit sehr viel weniger durch externe Anreize motivierbar als vorherige Jugendgenerationen. Diese Entwicklung wird unterstützt von ihrem neuen Statusdenken, das auf immaterielle Werte ausgerichtet ist. Es geht nicht mehr um die Frage „Was stelle ich dar?“, sondern: „Wie geht es mir, wie fühle ich mich, was bringt mich weiter?“ Die Suche nach individuellem Sinn und einer eigenen Berufung wird auf den Beruf ausgedehnt, und persönliche Präferenzen geben auch in der Arbeitswelt den Ton an. Damit entsteht ein völlig neues Verständnis von Karriere.
Alle aktuellen Studien belegen, dass „Karriere machen“ kein Ziel mehr ist, mit dem sich heutige Jugendliche identifizieren können. Wichtiger als das klassische Erklimmen der Karriereleiter ist ihnen eine erfüllende Tätigkeit und die Möglichkeit, mitgestalten zu können. Im Zentrum steht auch hier die Kombination aus Ich- und Wir-Werten: Es geht um Spielraum für die eigene Persönlichkeit – innerhalb stabiler soziale Kontexte, ob in Partnerschaft, Familie und Freundeskreis Geld und Macht haben als primäre Motivationsfaktoren ausgedient oder Arbeitsteams. Wenn Arbeitgeber diesen Vorstellungen entgegenkommen und entsprechende Gestaltungsspielräume garantieren, sind junge Mitarbeiter aber durchaus karriereinteressiert. Gemäß dem neuen Statusdenken haben Geld und Macht als primäre Motivationsfaktoren ausgedient – und werden abgelöst von neuen, „weicheren“ Werten, die zur Verwirklichung persönlicher Vorstellungen beitragen. Auch eine solche „Karriere 2.0“ wird angetrieben von einer grundlegenden Zielstrebigkeit, nur das Ziel hat sich geändert: Es geht nicht mehr um hierarchische Höherpositionierung, sondern um persönliche Weiterentwicklung.
Die Neuerfindung der Karriere spiegelt die 2-in-1-Mentalität der Liquid Youth, die Kombination aus Ich- und Wir-Werten: Jugendliche fordern Spielräume und Partizipation, benötigen dafür aber Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie flexibel und eigenverantwortlich gestalten können. „Karriere machen“ bedeutet dann die erfolgreiche Realisierung solcher Sowohl-als-auch-Konstellationen.
Alle Facetten der Liquid Youth haben eine strukturelle Gemeinsamkeit: Es sind neuartige Verbindungen von Flexibilität und Stabilität, flexible Weiterentwicklungsmöglichkeiten innerhalb robuster Rahmenbedingungen. Diese Kombination beschreibt exakt jene Qualität, die Unternehmen heute mehr denn je benötigen, um in einer volatilen Welt bestehen und wachsen zu können: Resilienz. Erfolgsentscheidend sind deshalb Strategien, die diese jugendliche Resilienz-Ressource in die eigene Organisationskultur integrieren.