Wie können Marken konstruktiv auf die steigende Komplexität der Märkte, auf neue kulturelle Muster und unvorhergesehene Situationen reagieren? Diese Frage stellt sich seit der Corona-Krise dringlicher denn je. Insbesondere zwei große Veränderungsdynamiken stellen Marken dabei vor große Herausforderungen: die schnell steigende Komplexität digitaler Kommunikationsoptionen und ein fundamentaler Wertewandel in Richtung Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und Wir-Kultur.
So sorgt die fortschreitende Vernetzung dafür, dass Kommunikationsmöglichkeiten und -kanäle kontinuierlich verändert und erweitert werden – schon die Vielfalt und Volatilität rein digitaler Kommunikationskanäle schafft eine stetig zunehmende Unübersichtlichkeit. Parallel dazu treiben nachwachsende Konsumentengruppen, allen voran die Generation Z, die Verschmelzung von Kommerz, Unterhaltung und Social Media rapide voran. Und komplexe postdemografische Lebensstile lösen die (vermeintliche) Verlässlichkeit demografisch segmentierter Zielgruppen ab. All das erschwert die Einschätzung, Erforschung und Ansprache von Kundengruppen und Marktpotenzialen.
Zum anderen lässt der kollektive Wertewandel hin zu einer sinnhafteren, ökologischeren und gemeinschaftlicheren Wirtschaft und Gesellschaft die Erwartungen an Marken und Marketing rasant ansteigen. Dieser Veränderungsprozess wird die kommenden Jahre und Jahrzehnte dominieren. Ermächtigte Konsumentinnen und Konsumenten fordern künftig noch mehr als „nur“ einen Austausch auf Augenhöhe: Sie erwarten Transparenz und Partizipation im Hinblick auf das, was hinter Marken steht und was sie tun. Reine Purpose-Proklamationen reichen dafür nicht aus. Es geht um erlebbares Engagement und Unterstützung bei der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen.
Die Umbrüche im Gefüge der Gesellschaft machen die Entwicklung und Kommunikation einer Marke anspruchsvoller denn je – und sorgen in der Werbebranche für Zustände tiefer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit. Zumal die Markentreue schwindet, insbesondere bei den jüngeren Generationen, und ständig neue, bewegliche Produktmarken aus dem Boden schießen, die spezielle Bedarfsräume sehr schnell und punktgenau besetzen.
In einer Zeit, in der das Marketing den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht und in der Menschen mehr denn je nach echter Orientierung und Unterstützung suchen, gilt es umso mehr, einen Schritt zurückzutreten und das „Big Picture“ in den Blick zu nehmen. Die Leitfragen lauten:
Zentral für die Markenführung von morgen ist die Erkenntnis, dass die Märkte der Zukunft Sinnmärkte sind: Sinnhaftigkeit und Resonanz werden zunehmend zur neuen Markenwährung, das hat auch die Corona-Krise eindringlich bestätigt. Starke Marken müssen sich deshalb als Sinn-Entitäten verstehen: als kollektive Ideen, die Ankerpunkte bilden in einer volatilen Welt, indem sie Orientierung stiften und echte Resonanzbeziehungen erlebbar machen.
Dabei weichen die klassischen Parameter der Markenführung universelleren Faktoren: Künftig geht es nicht mehr primär um Produkte und Preise, um Kundensegmente, Angebote und Verkäufe. Sondern: um Sinnstiftung, Integrität und Verantwortung, um die aktive Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen und ein Gespür für zwischenmenschliche Resonanz. Die starken Marken von morgen sind damit im wahrsten Sinne „Wert-Schöpfer“, die mit Menschen über geteilte Sinn- und Wertesets verbunden sind. Daher wird Integrität zu einem zentralen Treiber erfolgreicher Marken: aus Touchpoints werden Trustpoints.
Relevant ist daher nicht mehr primär das Produkt, sondern das gesamte Unternehmen, das hinter einer Marke steht. Die Konsistenz von Innen und Außen wird unabdingbar: Markenerlebnis und Unternehmensverhalten verschmelzen, Beschäftigte werden zu Markenbotschaftern – alles, was mit einem Unternehmen zu tun hat, zahlt ein auf eine universelle Markenerfahrung, die Menschen fühlen, erinnern und teilen. Die Marke wird zu einer kollektiven Idee, zu einem erlebbaren Anliegen: Sie erzählt keine Vision mehr – sie ist eine.
Um diese Vision erlebbar zu machen und die wachsenden Sehnsucht nach echtem Austausch, unmittelbaren Erfahrungen, Selbstwirksamkeit und Teilhabe an größeren Anliegen zu adressieren, müssen Marken menschlicher und greifbarer werden. War die alte Markenwelt stark auf das einzelne Individuum ausgerichtet, gewinnen daher kollektive Identitäten immer mehr an Relevanz. Erfolgreich werden jene Marken sein, die es verstehen, Menschen zu Markenkollektiven zu binden und Gemeinschaften um geteilte Werte und Interessen aufzubauen. Die Grenze zwischen Unternehmen und Community löst sich dabei zunehmend auf.
In einer zunehmend hypervernetzten und sinnökonomischen Welt – und erst recht im Kontext einer kollektiven Traumatisierung wie der Corona-Krise – erhalten Marken eine neue Aufgabe und Bestimmung: Sie sind nicht mehr nur passiv Getriebene, die Anschluss zu halten versuchen an disruptive Veränderungen, nicht mehr nur Profiteure einer wachstumsfixierten Ökonomie, die sich darum dreht, deren Hauptziel die trickreiche Köderung von Kunden ist. Vielmehr emanzipieren sich Marken von diesen alten Beschränktheiten und treiben zukunftsweisende Veränderungsprozesse aktiv voran, auch jenseits des ökonomischen Feldes. Sie werden zu konstruktiven Akteuren des gesellschaftlichen Wandels. Zu Transforming Brands.
Indem sie Gemeinschaften stärken, neue Nachhaltigkeitsstandards setzen und aktiv dazu beitragen, aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern und ein neues, qualitatives Wirtschafts- und Wachstumsverständnis zu etablieren, machen Transforming Brands gesellschaftliche Anliegen für Konsumentinnen und Konsumenten spürbar und erlebbar. Marken, die sich dieser neuen Verantwortung stellen, werden in der Wirtschaft von morgen mächtiger denn je sein.
Bildcredits: Muskan Gohrani | Unsplash