Rosa vs. Blau: Mehr als ein Farbspiel
Auf der einen Seite verspricht die Farbzuordnung Exklusivität: Produkte, die rosa gelabelt sind, wurden scheinbar extra für Mädchen und Frauen gemacht, von Tütensuppen, Haarshampoo und Müsli über Backmischungen, Gartenhandschuhe und Schnuller bis zu Bastelkleber, Hähnchenschnitzel und Reinigungsmittel für Windschutzscheiben. Produkte in Blau-Schwarz-Orange dagegen sind für Jungen vorgesehen. Texte und Bilder vermitteln: Hier kaufen mutige Helden, starke Kämpfer und coole Abenteurer.
Nach wie vor sind Konstruktionsbausätze, Fußballthemen und Experimentierkästen überwiegend an Jungs gerichtet. Aus der rosa Welt dagegen, mit ihren ganz essenziellen Lebensbereichen, nämlich Küche und Haushalt, Pflege und Betreuung von Kindern werden sie ausgegrenzt: "Only for girls".
Die Schwierigkeit dahinter: Wie sollen Jungen und Männer einen Zugang finden zur Care-Welt, wenn ihnen von klein auf die spielerische Annäherung verwehrt wird? In der Welt der Spielwaren und Kindermedien haben Puppen offensichtlich keine Väter. Die Puppenwelt wird fast ausnahmslos in Rosa vermarktet, der Werbewelt gilt sie als Mädchenfarbe.
Doch Rot ist auch die Farbe der Macht, Könige und Päpste tragen bis heute Mäntel aus Purpur. Kleider in Rosa, "das kleine Rot", trugen deshalb jahrhundertelang ausschließlich Jungen, sie galt als starke, männliche Farbe. Blau dagegen war in der christlichen Tradition und der Symbolik des Mittelalters die Farbe Marias, der Mutter Gottes; Hellblau galt als fein und elegant und war den Mädchen vorbehalten.
Diese Farbzuordnung kehrte sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts allmählich um. Blau war die Arbeitskleidung in den neu entstehenden Fabriken (Blaumann), blau waren die Marineuniformen, Blau stand fortan für Kraft und Stärke, für Leistung, Durchsetzungsvermögen und für Krieg. Wenn wir heute also mit Rosa Eigenschaften verbinden wie zart und grazil, sanft und schutzbedürftig, dann ist diese Zuordnung kulturgeschichtlich noch sehr jung, sie ist gemacht, willkürlich und veränderbar.
Was unsere Kinder in ihren Spielwelten, in Filmen und vor allem in der Werbung zu sehen bekommen, widerspricht in vielem dem, was Politik und Wirtschaft sonst zu jedem passenden Anlass verlauten lassen: mehr Männer in die sozialen Berufe, mehr junge Frauen in die MINT-Berufe. In den Spielwelten der Kinder ist weder das eine noch das andere vorgesehen.
Im Kindergarten- und Grundschulalter wollen Kinder dazu gehören, sie wollen richtig sein, nicht auffallen und nichts anders machen als die anderen Kinder. Sie vergewissern sich in dieser Lebensphase, zu welcher Gruppe sie gehören, und passen sich ihr nicht nur an, sondern übertreiben oft noch, um auch ganz sicher zu sein. Bei Marktanalysen und Umfragen, gerne als "wissenschaftliche Studien" bezeichnet, wird dann zurecht festgestellt, dass Mädchen Rosa lieben und Jungs sich für Action und Abenteuer interessieren.
Allerdings bedeutet das nicht, dass dies Interessen sind, die von Anfang festgelegt waren, oder dass Kinder nur die Hälfte des Angebots nutzen wollen. Sie zeigen nur, welcher Gruppe ein Kind sich zugehörig fühlt. Deren Merkmale, Farbcodes oder oft stereotypes Verhalten bestimmen Kinder nicht selbst, sondern sie reproduzieren ein Bild, das von außen an sie herangetragen wurde. Kinder wachsen in die Regelwelt der Erwachsenen hinein und übernehmen deren Zuordnungen.
Der britische Psychologe Simon Baron-Cohen hat aus seinen Untersuchungen einmal die Schlussfolgerung gezogen, es gäbe ein weibliches und ein männliches Gehirn, um auf Nachfrage zugeben zu müssen, dass nicht einmal die Hälfte der Frauen ein solch weibliches Gehirn haben. Wie Baron-Cohen hantieren auch viele Statistiken, Umfragen und Marktanalysen mit relativen Mehrheitsverhältnissen oder signifikanten Unterschieden. Wenn zehn Personen nach ihrer Lieblingsfarbe gefragt werden und neun unterschiedliche Antworten geben – die Farbe Rot zum Beispiel zwei Mal genannt wird – dann haben sich demzufolge doppelt so viele Menschen für Rot entschieden als für jede andere Farbe. Ein eindeutiges Ergebnis, das die bunte Vielfalt unterschiedlicher Meinungen komplett ausblendet.
Wenn sich Marketingstrategien und die Produktpalette der Medien- und Konsumgüterindustrie auf solche Umfragen und vorschnellen Schlussfolgerungen beziehen, wird ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang gesetzt, der die Grenzen von Weiblichkeit und Männlichkeit für Kinder immer stärker einengt und ihre Vorstellungen und Lebensgestaltung einschränkt. Ist es wirtschaftlich wirklich sinnvoll, die Wünsche so vieler Menschen auf Dauer zu ignorieren? Im Internet verbreiten sich immer wieder neue Listen von "pointlessly gendered products", und in der Twitter-Welt äußert sich der Unmut darüber in einem eigenen Hashtag: #ichkaufdasnicht. Da werden Produkte und Werbekampagnen aufgelistet, die mal offen, mal versteckt sexistisch sind und diskriminierende stereotype Botschaften vermitteln. Viele Eltern sind genervt von der Bevormundung und Beeinflussung ihrer Kinder. Auf YouTube sprechen nicht nur Erwachsene über das Thema: Auch die vierjährige Riley spricht vielen aus der Seele.
Es sind noch wenige Hersteller, die auf die Trennung in Rosa und Hellblau verzichten und ihre Produkte nicht für Mädchen oder Jungen, sondern für Kinder anbieten: Spielzeugkataloge, in denen Mädchen und Junge gemeinsam am Puppenherd stehen oder bunte Kleidung ohne stereotype Botschaften... Diese Angebote sind selten. Klischeefreies Einkaufen kostet Zeit. Und: Es ist den Wohlhabenderen vorbehalten. Je günstiger, desto stereotyper das Angebot. Deshalb führen Diskussionen über diese Entwicklung oft zum gleichen Punkt: Verweigerung. Eltern, die sich öffentlich gegen Gendermarketing aussprechen, wissen sich am Ende nur mit Konsumverzicht zu helfen: weniger einkaufen, weniger fernsehen, weniger Werbung, weniger vorgefertigte Lebensmittel, weniger von allem. Wer diese Käufergruppe nicht verlieren will, ist gut beraten sich vom Rosa-Hellblau-Denken zu verabschieden.
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Dokumentation
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