Foto: Hello Fresh
Wir leben im Schlaraffenland – an jeder Ecke können wir Lebensmittel einkaufen. Auch wenn sich Menschen beklagen, dass es früher im Dorf noch einen Krämerladen gab, ist heute der nächste Supermarkt meist in wenigen Minuten mit dem Auto erreichbar. Ob Groß- oder Frischeeinkäufe, Einkäufe von Bio-Lebensmitteln, direkt beim Erzeuger, von Feinkost oder von Produkten aus einer fernen Heimat – für alles gibt es einen Laden. Und nun kommen auch noch unzählige Kochbox-Lieferservices und der Online-Handel dazu – als wären die Optionen nicht ausreichend. Die Kunden bewegen sich fasziniert und verunsichert zugleich durch eine schöne neue Einkaufswelt der Möglichkeiten – und entwickeln, je tiefer sie in diese Welt eintauchen, das Bedürfnis nach Kuratierung.
Supermärkte an jeder Straßenecke und das wachsende Angebot an Online- und Zustellservices suggerieren uns, dass der Lebensmitteleinkauf heute viel einfacher geworden ist. Und tatsächlich müssen wir nicht mehr vom Bäcker zum Fleischer, vom Gemüse- zum Feinkosthändler, vom Getränkemarkt zur Drogerie eilen, um – inklusive Geschirrspülmittel – all das einzukaufen, was wir im Haushalt zum Kochen oder wenigstens zum Aufwärmen eines Fertiggerichts brauchen. Theoretisch würde ein Stopp bei einem Vollsortimenter reichen – praktisch aber sieht der Einkaufsalltag für viele heute ganz anders aus.
Denn die Zeiten, in denen das klassische, auf traditionellen Geschlechterbeziehungen basierende Einkaufen noch reibungslos funktionierte, sind vorbei: Die nicht berufstätige Ehefrau und Mutter, die den familiären Speiseplan festlegt, die Einkaufsliste schreibt, die Rabattmarken sammelt und ein- oder zweimal pro Woche ihren kompletten Einkauf im Supermarkt erledigt, ist eine Figur aus der Welt von gestern.
>Allen Service- und Convenience-Angeboten zum Trotz ist Shoppen heute tatsächlich deutlich komplexer geworden. Statt der Hausfrau besorgen die Einkäufe – je nach gerade verfügbarer Zeit – längst beide Partner und immer öfter auch die (nun länger) im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder. Und jeder entscheidet meist nach ganz anderen Kriterien, wobei man sich dabei einer immer größeren Vielfalt an Einkaufsoptionen gegenübergestellt sieht: vom Take-Away aus der Betriebskantine bis zur Gemüselieferung durch Amazon Fresh, vom Zwischenstopp beim Bauernmarkt oder Bio-Supermarkt bis zum Einkauf beim Discounter, vom Schlendern durch die Shopping-Mall bis zum Ordern von Kochboxen, die uns Start-ups offerieren. Es gibt so viel Bewegung und so viele Innovationen im Bereich der Einkaufsmöglichkeiten, dass man als Konsument leicht den Überblick verlieren kann: „Schatz, wer hat uns denn letzte Woche dieses leckere vegane Curry geliefert?“
Es sind viele unterschiedliche Faktoren, die dazu führen, dass wir uns beim Einkaufen nicht (mehr) für die einfachste Lösung entscheiden – den Gang zum Vollsortimenter, der uns fast alles bietet: Premiummarken, Bioprodukte, Fertigmenüs, Fair-Trade-Waren, Discountangebote etc., inklusive optionalem Zustellservice. Mehr und mehr nämlich gleicht unser Einkaufsverhalten unserem Medienverhalten: Statt uns mit der abonnierten Tageszeitung oder der abendlichen Tagesschau zu begnügen, surfen wir zusätzlich auf unzähligen News-Portalen im Netz, folgen den Links, die Freunde auf Facebook posten, googeln nach noch mehr Neuigkeiten, nur um zwar mehr Infos, aber weniger Überblick zu haben – sprich: gestresster und verunsicherter zurückzubleiben.
Ganz ähnlich agieren wir heute beim Einkaufen. Trotz der Klage über zunehmenden Alltagsstress haben wir es uns in unserer selbst geschaffenen, überkomplizierten Einkaufsroutine eingerichtet. Und sehnen uns zugleich nach einfachen Lösungen, die uns von beinahe allen Seiten versprochen werden: hier die Online-Händler, dort die klassischen Vollsortimenter und die „upgepimpten“ Discounter, die Lieferservices und die neuen Caterer. Jede Woche startet ein neuer Service, Supermärkte verändern laufend ihre Ladenkonzepte, ambitionierte Tante-Emma-Läden sperren auf (und nach wenigen Monaten oft wieder zu), Tankstellen werden zu Minimärkten, Restaurants zu Lebensmittelhändlern und Supermärkte zu „Grocerants“, in denen wir nicht nur frische Lebensmittel kaufen, sondern auch frisch zubereitete Speisen genießen können.