Wer in München oder Hamburg eine Wohnung sucht, möchte meinen, der Immobilienbranche gehe es blendend. Kaum freie Wohnungen in den Städten, und wenn, dann nur zu horrenden Miet- und Kaufpreisen. Und das gilt auch für manche Städte in den Neuen Bundesländern. Doch der Schein trügt. Experten sprechen bereits von einer bevorstehenden Immobilienblase, die bald platzen könnte.
Dass immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen, ist eine bereits lang anhaltende Folge der Urbanisierung. Hinzu kommt die wachsende Attraktivität von Städten in Bezug auf die Lebensqualität. Aktuell sind die großen Städte hierzulande die Gewinner – noch. Die Mieten sind hoch, Wohnraum ist knapp, Einkaufsstraßen trotz des Online-Handels hochfrequentiert, Bautätigkeiten boomen. Die Leerstandsquote Das Pop-Up-Prinzip wird mit der kurzzeitigen Zwischennutzung von Gewerbeflächen die Zukunft des Retail und der Immobilienbranche. lag 2011 im Schnitt bei 4,4 Prozent und in zahlreichen westdeutschen Städten deutlich niedriger z. B. in Hamburg bei 1,6 Prozent oder Berlin bei 3,5 Prozent. Mittelstädte (bis 100 000 Einwohner) und Kleinstädte vor allem in Ostdeutschland haben dagegen mit einem Wegzug von Bewohnern und Gewerbetreibenden zu kämpfen.
Das sächsische Chemnitz weist eine Leerstandsquote von 13,7 Prozent, Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt gar von 14 Prozent auf. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren laut einer Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) noch verstärken. Bis 2030 könnte in manchen Regionen jede fünfte Wohnung leer stehen. Doch auch in den deutschen Metropolen zeichnet sich eine Krise ab. In München – dem teuersten Wohnungsmarkt in Deutschland – stagnierten die Mietpreise aktuell zum ersten Mal wieder seit 2010. Experten sind davon überzeugt, dass der Mietpreiszyklus seinen Zenit erreicht habe. Der Wohnungsleerstand wird in den nächsten Jahren auch in Städten im Ruhrgebiet wie Essen, Gelsenkirchen oder Dortmund eine größere Rolle spielen.
Was sich hierzulande zu einem neuen Trend entwickelt, ist in den USA und in Lateinamerika schon seit Jahren eine übliche Dienstleistung: Die sogenannten Hauswächter passen auf eine aktuell leerstehende Immobilie auf – und dürfen dafür dort wohnen. Doch sie sind keine regulären Mieter und müssen jederzeit damit rechnen, dass sie die Immobilie kurzfristig verlassen müssen. Bei Camelot, einem Hauswächter-Dienstleister mit niederländischem Ursprung, liegt die Kündigungsfrist auf beiden Seiten bei vier Wochen. Das Unternehmen regelt die Zwischennutzung für den Immobilienbesitzer. Es wählt den geeigneten Hauswächter aus und legt die Pflichten der Bewohner auf Zeit fest. Denn in erster Linie sollen die Hauswächter anwesend sein und somit die Immobilie und das Grundstück vor Vandalismus schützen. Und nebenbei wird für flexible Mieter wie Studenten günstiger Wohnraum auf Zeit zur Verfügung gestellt. Für circa 185 Euro im Monat wird bei Camelot Wohnen zum Abenteuer, z.B. in einer ehemaligen Reha-Klinik am Zeller See oder in einem alten Herrenhaus bei Bremen.
Hauswächter werden in zahlreichen Publikationen als visionäre Raumpioniere porträtiert. So auch die Macher des Vereins Haushalten in Leipzig, die bereits seit 2004 versuchen, dem wachsenden Leerstand und Verfall von Gebäuden entgegenzuwirken. Der Verein führt in enger Kooperation mit der Stadt Besitzer von leerstehenden Immobilien zusammen mit kreativen Raumsuchenden. In den sogenannten Wächterhäusern zahlen die Nutzer keine Miete, sondern nur die Betriebskosten. Der Eigentümer ist dafür verantwortlich, dass Anschlüsse wie Wasser, Heizung etc. funktionieren, muss aber keinerlei Modernisierung vornehmen. Zahlreiche Immobilien wurden somit vom Leerstand über die Zwischennutzung wieder einer langfristigen Nutzung zugeführt. Ähnliche Initiativen zur Revitalisierung existieren inzwischen auch in Görlitz, Chemnitz, Dresden, Halle und Dessau.
Das geplante, genossenschaftliche Quartier Holzmarkt am Spreeufer in Berlin-Friedrichshain ist das Vorzeigeprojekt schlechthin für eine positive Stadtentwicklung von unten. Was aus einer Utopie alternativer Lebens- und Wohnformen entstand, könnte bald Realität werden. Denn die Macher, die ab 2004 auf dem brachliegende Gelände die berühmt-berüchtigten Partys in der Bar 25 und dem Club Kater Holzig veranstalteten, konnten zahlreiche Menschen für ihr Bauprojekt begeistern und auch genügend Geld zusammenbringen, um die Fläche zu kaufen. Aus den Aussteigern sind visionäre Unternehmer geworden. Ab 2017 soll das neue Quartier genutzt werden können.
Während die Nachfrage nach Einzelhandelsflächen in Innenstadtlage der Großstädte gleichbleibend hoch ist, zeigen sich in Stadtteil- und Randlagen sowie in Mittel- und Kleinstädten verstärkt leerstehende Ladenlokale. Laut einer Analyse des Beratungsunternehmen CIMA für das Jahr 2009 lag im Schnitt in 113 Klein- und Mittelstädten die Leerstandsquote bei 11 Prozent. Neben den traditionellen Immobilienmaklern lässt der wachsende Leerstand in Folge des E-Commerce-Booms neue Player in Erscheinung treten: Online-Marktplätze, die Retail-Flächen zur Zwischennutzung vermitteln. Das US-amerikanische Startup Storefront möchte – ähnlich wie Airbnb die Hotelbranche – die Gewerbeflächenwirtschaft umkrempeln. Über die Online-Plattform können leerstehende Flächen zur Interimsnutzung direkt von Privat zu Privat vermittelt werden – ohne Umwege über Dritte wie den Immobilienmakler. Seit Ende 2013 existiert auch ein Ableger dieses Konzepts für Deutschland: PopUp Berlin möchte neben dem Aufbau einer Pop-up-Community in Berlin auch Flächen in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, München oder Köln vermitteln. Die Macher von PopUp Berlin sehen im Pop-up-Prinzip selbst die Zukunft des Retail: „Das wird die Art und Weise sein, wie zukünftig Einzelhandel funktionieren wird und wie Leerstand und Gewerbeflächen in Zukunft genutzt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit“, betont Patrick Burkert in einem Interview. Zumindest bewegt sich Pop-up aktuell aus der Nische heraus zu einer ernstzunehmenden Strategie für den Einzelhandel und die Immobilienbranche. Das belegt auch die Aufnahme des Startups in den Inkubator von immobilienscout 24 im Frühjahr 2014.
Für die Immobilienbranche stellt das Pop-up-Prinzip ein mächtiges Tool dar, mit dem die Attraktivität von Leerstand gesteigert werden kann. Indem ungenutzte Flächen interimsweise bespielt werden, kann nicht nur die Immobilie, sondern gleich ein ganzes Viertel aufgewertet werden. Zahlreiche von engagierten Bürgern in Kooperation mit der Stadt entwickelte Initiativen zur Leerstandsnutzung zeigen, dass unglaubliches Potenzial in kulturellen gemeinschaftsstiftenden Projekten liegt, einen ganzen Stadtteil wieder wohnens- und lebenswert zu machen. Für die Immobilienwirtschaft ist es an der Zeit, dieses Potenzial der – zeitaufwendigen, aber langfristigen – Revitalisierung von Quartieren zu heben und den Markt nicht anderen, neuen Playern zu überlassen.
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