Politische Kommunikation im Netz
Bereits Ende der 1990er-Jahre wurde in den Medien gelegentlich die Frage gestellt, wann der erste „echte“ Internetwahlkampf stattfinden würde. Damals war das Internet noch eine stark von der realen Welt abgetrennte Sphäre, in der sich nur etwa zehn Prozent der Deutschen aufhielten. Die Nutzung des Netzes erfolgte über den heimischen Computer (der meist in einer Ecke des Schlafzimmers stand), und „ins Internet“ gelangte man überwiegend über eine Einwahl sowie über das Aufrufen von Internetprogrammen wie Browser oder E-Mail-Software.
Wir nehmen das Internet bis heute meist als eine Weiterentwicklung dieser Anfänge wahr – tatsächlich handelt es sich im Augenblick aber eher um eine neue, erheblich beschleunigte und extrem weitreichende Phase der Digitalisierung, die stark disruptive Züge trägt und die damit nicht mehr als schrittweise Weiterentwicklung, sondern als harter Bruch verstanden werden kann. Für die meisten Menschen ist das Internet heute überall und jederzeit mobil dabei, und dank Apps und Social Media so vielfältig und leicht zu nutzen wie kein Medium zuvor. Auf Anbieterseite spielen Technologien und Infrastrukturen wie Cloud-Computing oder lernende Algorithmen eine Rolle, die immer mehr Lebensbereiche erfassen und die Automatisierung von Kommunikation und Transaktionen ermöglichen.
Was bedeuten diese Entwicklungen für die politische Kommunikation, also dafür, wie eine Gesellschaft (Staat, Parteien, soziale Bewegungen, Bürger) über ihre Probleme verhandelt und Lösungen zuführt? Drei Thesen zu den Herausforderungen der nächsten Jahre.
1. Ganzheitliche Perspektive
Um die politische Kommunikation von morgen zu verstehen, macht der isolierte Blick auf einzelne Internetanwendungen oder die Gegenüberstellung von Internet und Offline-Welt keinen Sinn mehr. Eine solche Perspektive verstellt vielmehr den Blick auf wichtige Prozesse. Gerade in der politischen Kommunikation verschränken sich reale Ereignisse wie Pressekonferenzen oder Demonstrationen mit der Kommunikation zu diesen Ereignissen in digitalen Räumen: Es werden Fotos gepostet, Diskussionsstränge durch Hashtags verknüpft, Interpretationen von Ereignissen live über soziale Medien verbreitet.
Mit dieser neuen, extrem erweiterten Sphäre politischer Kommunikation müssen alle umgehen lernen: Für Bürger ist es wichtig, die Besonderheiten der verschiedenen Kanäle und Quellen einschätzen zu können, für politische Akteure geht es darum, angemessene und sinnvolle Strategien für die nur noch schwer kontrollierbare Kommunikation über digitale Medien zu entwickeln. Beide Problemfelder sind in der aktuellen Forschung noch stark unterrepräsentiert.
2. Naive Hypothesen
Die Forschung zu Mediennutzung und Medienwirkung hat bislang viel zu wenig Eingang gefunden in die politische Beurteilung digitaler Kommunikationsprobleme. Stattdessen dominieren zu häufig küchenpsychologische oder auf Alltagserfahrungen basierende Einschätzungen von Kommunikationsproblemen im Netz. Dies zeigt sich etwa darin, dass negative Phänomene wie die starke Verbreitung von rassistischer Hasskommunikation in sozialen Medien oder die Aufmerksamkeit für Akteure an den politischen Rändern wie PEGIDA oder AfD in unzutreffender Weise als kausale Folge dieser neuen Medien interpretiert werden – und so die Kontrolle oder Löschung von Inhalten als einfache Problemlösung erscheint.
„Macht Facebook uns zu Rassisten?“ – dies ist eine Frage, die zuletzt häufig gestellt wurde. Tatsächlich wissen wir aber seit langem, dass medial vermittelte Kommunikation kaum direkten Einfluss auf Meinungsänderungen hat. Eine stärkere Wirkung haben Medien dagegen auf die sogenannte „Aktivierung“ von Meinungen bei Menschen, die schon bestimmte Prädispositionen haben. Die Kausalität wirkt also stärker in die andere Richtung: Menschen mit bestimmten Erwartungen oder auch Vorurteilen wenden sich gezielt an Foren mit solchen Inhalten – das Internet erleichtert lediglich den Zugang zu und die Sichtbarkeit von entsprechenden Inhalten.
3. Neuerfindung von Öffentlichkeit
Dies führt uns zum wohl kritischsten Punkt in der Frage, wie in unserer digitalisierten Zukunft Kommunikation über Politik organisiert werden kann. Die zur Zeit sehr kritisch bis ängstlich diskutierten Phänomene wie Fake News und Hasskommunikation deuten vor allem darauf hin, dass unser über viele Jahrzehnte entwickeltes, gut gepflegtes und ausdifferenziertes System von Medien und politischer Öffentlichkeit langsam erodiert.
Seit der Herausbildung der modernen Massenpresse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es der Journalismus, der die Funktion der Vermittlung zwischen Zivilgesellschaft und dem politischen System übernahm. Eine gute Ausbildung, politische Unabhängigkeit und eine große Vielfalt an Anbietern sorgte für eine mal mehr, mal weniger gut funktionierende Repräsentation von Fakten und Meinungen. Sucht man heute im Internet nach Informationen zu einem Thema, sieht das Bild ganz anders aus: Auf Google oder Facebook sorgen Algorithmen dafür, dass wir erstens individuell sehr unterschiedliche Informationen erhalten und dass zweitens Angebote nicht-journalistischer Quellen, angefangen bei Wikipedia über Ministerien bis hin zu schwer einzuschätzenden Blogs oder Forenbeiträgen, in der Überzahl sind (Emmer & Strippel 2015). Wie unter diesen Bedingungen die für eine Demokratie vitalen Funktionen von Öffentlichkeit erhalten werden können, darauf gibt es bisher noch keine befriedigenden Antworten.
Folgen für Politik, Politiker und Wahlkampf
Da die Öffentlichkeit für demokratische Politik eine grundlegende und unverzichtbare Basis ist, stellt sich die generelle Frage: Wie stark sind Parteien, Politiker und die gesamte repräsentative, parlamentarische Demokratie von diesen Wandlungsprozessen betroffen? Es ist sehr wahrscheinlich, dass es nicht mit einer „besseren“ Nutzung von Twitter, Facebook und Co. durch politische Akteure getan ist – insbesondere wenn dabei immer auf die USA mit ihrem von Deutschland völlig verschiedenen politischen System als vermeintliches Vorbild geblickt wird.
Eine Herausforderung besteht darin, den steigenden Partizipationserwartungen der Bürger besser gerecht zu werden. Diese Forderungen werden heute in Sozialen Medien artikuliert, haben ihren Ursprung aber auch im gestiegenen Bildungsstand, dem gesellschaftlichen Wertewandel und der zunehmenden Ökonomisierung vieler Lebensbereiche. Die traditionellen Führungsansprüche von Politik und Medien, abgeleitet aus einer prädigitalen Gesellschaftsordnung, werden heute immer weniger akzeptiert.
Neben einer transparenteren und partizipativeren Organisation politischer Prozesse gehört auch die Neudefinition des Journalismus zu den künftigen Herausforderungen: Während der Journalismus als Sammler und Verbreiter von Information immer weniger gebraucht wird, ist heute die Bewertung, Prüfung und Einordnung durch glaubwürdige Instanzen vielleicht noch wichtiger als früher. Hierfür müssen Organisationsformen und Geschäftsmodelle gefunden werden.
Und schließlich wird die Rolle der Bürgerinnen und Bürger wichtiger: Der stärkeren Beteiligung an Politik und Öffentlichkeit auf der einen Seite steht auf der anderen Seite eine größere Verantwortung gegenüber. Während früher am Stammtisch rassistische Parolen im kleinen Kreis meist folgenlos blieben und die Verantwortung des Bürgers sich auf seinen Beitrag zu Wahlergebnissen beschränkte, kann die Weiterleitung einer Falschnachricht oder Beleidigung in sozialen Netzwerken heute erhebliche Reichweiten und politische Folgen haben. Daraus erwachsen auch neue Aufgaben für die politische Bildung: Die aktuellen zaghaften Versuche, Medienbildung in die Lehrpläne aufzunehmen, reichen dafür bei weitem nicht aus.
Dokumentation
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