Japan gilt als Vorreiter in Sachen kleine Wohneinheiten mit großer Lebensqualität: Auf einer Fläche, die nicht mehr Platz einnimmt als die umstehenden Häuser, hat Ryue Nishizawa im Zentrum Tokios das „Moriyama House“ gebaut. Insgesamt zehn Kuben umfasst dieses Haus, welche frei angeordnet und ineinander verschachtelt sind. Barrieren gibt es kaum, stattdessen verfließen die Wege, Plätze und Nischen zwischen den Kuben mit dem Rest des Viertels. Stadt und Haus werden ununterscheidbar.
Was in den 1990er Jahren in den USA mit dem „Tiny House Movement“ begann, ist heute im Mainstream angekommen. So nahm beispielsweise in Großbritannien der Bau von Micro Homes seit 2014 um 172 Prozent zu. Von dieser Entwicklung profitieren nicht zuletzt die Immobilienfirmen – schließlich bringen sieben 30-Quadratmeter-Wohnungen mehr Geld als ein einziges „Die effiziente Nutzung von privaten und öffentlichen Räumen durch die Reduzierung auf wesentliche Elemente ist dabei ein zentraler Pfeiler einer intelligenten Stadtplanung.“ 210-Quadratmeter-Objekt. Ist der weltweite Trend also an einem Tipping Point angelangt – oder befeuert die fortschreitende Verstädterung erst recht neue Micro-Housing- Konzepte? Fest steht, dass Städtebau und Wohnen angesichts der zunehmenden Platzknappheit in den Städten neu gedacht werden müssen. Zugleich müssen sich Wohnungen und Häuser dem Umstand anpassen, dass Lebensläufe immer flexibler und unvorhersehbarer werden: Wohnungen werden schneller gewechselt, wenn die Bedürfnisse sich ändern.
Eine generelle Verschiebung der Konsumbedürfnisse, vorangetrieben von der nachwachsenden Generation der Millennials, wird den Trend des Micro Living noch weiter verstärken. Neue Kulturtechniken in den Sharing-Communitys verändern unsere Alltagsgewohnheiten und weiten sich aus auf das Wohnen in der Stadt. Das betrifft nicht nur gemeinsam nutzbare (Dach-)Gärten, Bibliotheken oder Lounge- und Essbereiche, sondern auch das innerstädtische Wohnen auf Zeit, das vor allem Studenten, Singles und Pendler anspricht.
Im Umbruch befindet sich auch das Wohnmodell der Kernfamilie. Die klassische familiäre Wohnform weicht verschiedensten Konzepten, vom urbanen Small Space Living über gemeinschaftliche Wohnmodelle, angelehnt an die traditionelle Großfamilie, bis zum temporären Wohnen auf Zeit in einer voll ausgestatteten Wohnung.
Konzepte wie Tiny- und Micro-Housing sind aber auch unter finanziellen und ressourcenschonenden Aspekten interessant: Je kostenintensiver das Wohnen in der Großstadt wird, umso attraktiver werden alternative Downsizing-Modelle. Schon heute erzeugen die steigenden Quadratmeterpreise in städtischen Metropolen einen Trend von weitläufigen Altbauten hin zu kompakten Neubauten, nicht zuletzt auch aufgrund geringerer Energiekosten. All diese Faktoren lassen den Markt für komprimierte „Wie können wir in Zukunft mit weniger Raum auskommen, die Innenstädte verdichten und die Berufspendelei reduzieren?“ Wohnformen weiter wachsen.
Zudem verhelfen künstlerische Experimente zu einer höheren Aufmerksamkeit für Micro Living. Auf dem Bauhaus Campus in Berlin wurden selbstgebaute Tiny Houses unter dem Motto „Study. Build. Research“ errichtet. Dahinter steht die Tinyhouse University (TinyU), ein Berliner Kollektiv aus Gestaltern, Bildungsaktivisten und Geflüchteten, das 2015 von Van Bo Le-Mentzel initiiert wurde. Gemeinsam sollen neue Wege gefunden werden, wie gerechtere Formen des Zusammenlebens geschaffen werden können.
Berlin spielt auch in Sachen Mikrowohnformen eine Vorreiterrolle in Deutschland. Schließlich bestehen bereits vier Fünftel der gesamten Berliner Haushalte aus nur ein bis zwei Personen, rund eine Million Menschen leben hier allein. Bauträger verzeichnen daher eine wachsende Nachfrage nach kleineren Wohnungen.
Gerade im internationalen Vergleich birgt Berlin hier ein erhebliches Potenzial: Pro Einwohner stehen 38,8 Quadratmeter Wohnfläche bereit – in Warschau sind es nur 24,5, in Tokio gerade mal 15. Zwar sind filigrane und oft ohne Wärmeisolierung konzipierte Minihäuser, wie sie etwa in Japan üblich sind, in Deutschland nicht ohne weiteres genehmigungsfähig. Umso wichtiger sind sie aber als Ausgangspunkt für ein generelles Nachdenken über die Frage: Wie können wir in Zukunft mit weniger Raum auskommen, die Innenstädte verdichten und die Berufspendelei reduzieren?
Dieser Text ist ein Auszug aus der Trendstudie „Futopolis“.
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