Der gesamtgesundheitliche Ansatz, der in der heutigen Gesellschaft gelebt wird, stellt neue Herausforderungen an die Städte der Zukunft. Das Individuum von heute möchte nicht mehr nur einfach gesund sein – im Sinne von „nicht krank“ –, sondern auch fit und voller Lebensenergie. Diese Anforderung wirkt sich nachhaltig auf den Wohn- und Lebensraum aus. Denn lebenswerte Städte definieren sich nicht mehr nur über eine effiziente Infrastruktur, sondern sie bieten Anreiz und Stimulation sowie Erholung und Rückzug gleichermaßen. Im globalen Wettbewerb der Städte und Regionen um Einwohner werden diese Faktoren wichtige Erfolgskriterien. Die Stadt von morgen wandelt sich von der reinen Versorgungsumgebung zu einem Ort, der Gesundheit und Wohlbefinden aktiv fördert und beeinflusst: von Cure-City zu Care-City.
Die Prognosen sprechen eine klare Sprache: Städte sind der Lebensraum der Zukunft. Schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebten über 50 Prozent der Weltbevölkerung in Städten. 2050, so prognostizieren die Vereinten Nationen, werden fast 70 Prozent der Weltbevölkerung im urbanisierten Lebensraum leben.
Dabei unterscheiden sich die Metropolen der Industrienationen von den Entwicklungsländern. Während in den westlichen Ländern der Urbanisierungsprozess an Tempo verliert, wachsen in den Dritt- und Schwellenländern Städte im rasanten Tempo zu Millionenmetropolen – und stehen damit noch vor der Herausforderung, eine effiziente Infrastruktur und Noch nie waren die Städte der westlichen Welt so grün, gesund und sauber wie heute Versorgung zu etablieren. Die Städte der westlichen Welt hingegen, ohne den enormen Wachstumsdruck, konzentrieren sich nun verstärkt auf ihre Verbesserung und Erneuerung von innen heraus: Mit dem „Abzug“ der Industrie und des produzierenden Gewerbes, dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft verbesserte sich auch die Lebensqualität in den Städten. Noch nie waren die Städte der westlichen Welt so grün, gesund und sauber wie heute.
Ein kurzer Blick in die Vergangenheit auf die Städte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt rauchende Schlote, verdreckte Straßen, miserable Wohnverhältnisse und eine überlastete Kanalisation – wenn überhaupt eine vorhanden war. Noch vor 50 Jahren kämpfte man im Ruhrgebiet mit verseuchter Luft und vergifteten Flüssen. „Was Grünes“ fand sich vielleicht im Schrebergarten – wenn nicht gerade eine Wolke von Kohlestaub herabrieselte. Heute ist das Ruhrgebiet eine wichtige regionale Grünverbindung, mit zahlreichen Parks, Wäldern und einem dichten Radwegenetz.
Doch es sind die Bilder der Vergangenheit, die das Image von Städten prägen. So stimmten mit „ja“ und „eher ja“ 68 Prozent der Befragten der Frage „Sind Sie der Meinung, dass das Leben in der Stadt, verglichen mit dem Leben auf dem Land, nachteilig für Ihre Gesundheit ist?“ zu. Und das Gefühl scheint nicht zu täuschen. Denn auch wenn gesundheitliche Belastungen durch Umweltverschmutzungen zurückgegangen sind: Die Städte von heute sind dennoch die „Hotspots“ von chronischen Krankheiten. Fettleibigkeit und Diabetes belasten die Städter ebenso wie Stress und Depressionen. Dabei sind Städte für den gesellschaftlichen Fortschritt von absoluter Relevanz. „Nobelpreise“, sagte einmal Ricky Burdett, Leiter des LSE Cities Program, „werden nun einmal nicht in Dörfern gewonnen.“
Und auch die Renaissance der Städte zeigt deutlich, dass immer mehr Menschen, allen Belastungen zum Trotz, in Städten leben wollen. Umso wichtiger wird für wirtschaftlich erfolgreiche und sozial stabile Städte der Faktor Lebensqualität. Was aber sind die weichen, versteckten Faktoren, die Lebensqualität messbar machen?
Das Beratungsunternehmen Mercer gibt jährlich den „Quality of Living Survey“ heraus. Die Studie misst weltweit die Lebensqualität mehrerer hundert Städte. Hongkong erreicht in diesem Ranking Platz 70. Im ebenfalls jährlich erscheinenden „City Infrastructure Ranking“ desselben Beratungsunternehmens schafft es die Metropole aber auf Platz sechs. Denn effiziente Stadtsysteme zeugen nicht immer auch von hoher Lebensqualität.
Das zeigt sich am Beispiel Hongkongs, einer Stadt, die oft als Vorbild für Stadtplaner gilt. Hongkong verfügt über ein hocheffizientes Verkehrsnetz. 93 Prozent der Bevölkerung nutzen öffentliche Verkehrsmittel. Im Schnitt erreicht jeder Einwohner seinen Arbeitsplatz in elf Minuten. Hongkong bietet im direkten Umland ausreichend Naherholungsgebiete, eine hervorragende Bildungslandschaft und medizinische Versorgung. Die Luftverschmutzung ist geringer als in Los Angeles. Es könnte also alles wunderbar sein, wären da nicht einige Viertel in den Randgebieten, in denen die Suizidrate und die Erkrankung an Depressionen um 30 Prozent höher liegt als in London oder New York. Als Gründe hierfür wurden von Ricky Burdett auf der LSE Cities Conference in Hongkong 2011 soziale Isolation, extreme Bevölkerungsdichte und ein sehr kleiner Wohnraum genannt. Gerade für die Bevölkerung in prekärer Lebenssituation ist das Leben in Hongkong ein Stressfaktor. Sie kann sich schlichtweg nicht mehr Lebensqualität in den Städten leisten. Dass sich aber eine gute Infrastruktur und Lebensqualität nicht ausschließen, zeigt die Stadt Frankfurt. Sie erreicht beim Lebensqualitäts-Ranking Platz sieben und ist im Ranking zur Infrastruktur auf Platz zwei.
Was also definiert eine lebenswerte Stadt der Zukunft? Wie können Faktoren der Lebensqualität entschlüsselt werden, wenn Effizienz und eine gute Infrastruktur allein die Bewohner weder gesund noch glücklich machen? Mercer verwendet für die Beurteilung der Lebensqualität 39 Gute Infrastruktur und Lebensqualität müssen sich nicht ausschließen Indikatoren in zehn Kategorien, wie beispielsweise die politische, rechtliche und soziale Stabilität, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Bildungsangebote, Gesundheitsstandards, Kultur- und Freizeitmöglichkeiten, Konsum- und Dienstleistungsangebote, Wohnsituation und Umweltfaktoren. Aber sind diese Faktoren auch in Zukunft von Relevanz? Und wie verändert die Forderung nach Lebensqualität die künftige Gestalt unserer Städte? Das alles führt zur wichtigsten Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben?
Der Unterschied zwischen Stadt- und Landbewohnern wird gerne provoziert: der hippe Kosmopolit gegen das trampelige Landei. Dass der Lebensraum nicht nur Verhalten und Äußerlichkeiten beeinflusst, sondern sich auf die psychischen Befindlichkeiten auswirkt, verdeutlichen die Studien von PD Dr. med. Mazda Adli von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Berlin und von Prof. Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Die beiden Wissenschaftler untersuchen den Einfluss des gebauten Raumes auf die menschliche Psyche und die Stressbelastung in Städten. In Zukunft werden diese Erkenntnisse es ermöglichen, städtische Räume zu bauen, in denen sich Menschen wohlfühlen und die das individuelle Stresslevel nicht zusätzlich verstärken. Neuro-Urbanismus nennen die Forscher diese Form der Stadtplanung. Statt also in Yogakursen permanent gegen das Stresslevel zu kämpfen, soll die urbane Umgebung zu einer besseren Stressverarbeitung beitragen.
Die Studie von Prof. Andreas Meyer-Lindenberg belegt, dass diese höhere Stressbelastung auch die physische Struktur des Menschen verändert. 2011 konnte Meyer-Lindenberg nachweisen, dass sich eine bestimmte Hirnregion, der Mandelkern, in seiner Größe zwischen Menschen, die in der Stadt leben oder aufgewachsen sind, und Personen, die in ländlichen Regionen leben, unterscheidet. Der Mandelkern, auch Amygdala genannt, ist eine Hirnstruktur, deren Aktivierung mit Angst zu tun hat und die auch bei Depressionen und Angsterkrankungen eine Rolle spielt. Er ist eine Art Gefahrensensor. Diese Hirnregion war bei Städtern deutlich verstärkt aktiv, verglichen mit Personen, die in einer kleinen Ortschaft oder auf dem Land leben. „Wir fanden einen klaren Zusammenhang jeweils zwischen der bestimmten Hirnregion mit der Größe der momentanen Stadtumgebung“, so Meyer-Lindenberg. Die Aktivität des Mandelkerns der Probanden stieg mit der zunehmenden Größe der Ortschaften.
„Das Schizophrenie-Risiko ist bei Stadtbewohnern doppelt so hoch wie bei Landbewohnern“, so Prof. Adli aus Berlin. „Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist etwas 1,4-mal so groß.“ Weitere Untersuchungen haben zudem ergeben, dass in der Stadt das Risiko, an Angststörungen zu erkranken, 21 Prozent höher ist als auf dem Land. Machen Städte also psychotisch und depressiv? Adli begründet dieses höhere Risiko, psychisch zu erkranken, mit der höheren Stressbelastung. Als „Social Stress“ benennt er diese Form von Stress, die eine Kombination aus sozialer Klug konfigurierte Stadträume sind der Benchmark der gesunden Stadt Dichte und sozialer Isolation ist: zu viele Menschen auf wenig Raum, die keinerlei Verbindung zueinander haben. Was aber bedeutet das für Stadträume?
Städtische Erholungsräume und Bepflanzung mögen zwar individuellen Stress abbauen, den sozialen Stress in den dicht bebauten Gebieten aber nicht. Die Forscherin Elizabeth Burton, Institute for Health der Universität Warwick, beschreibt in ihren Studien des Forschungsclusters „Wellbeing in Sustainable Environments“ (WISE), dass nicht die bauliche Dichte im Allgemeinen die Ursache für eine erhöhte Stressbelastung ist, sondern die Form der urbanen Dichte. Stadträume, die so konfiguriert sind, dass sie soziale Interaktion, aber auch privaten Rückzug erlauben, werden zu einem Benchmark der gesunden Stadt von morgen werden.
Das Moriyama House in Tokio bietet für seine Bewohner solch neue Vielfalt unterschiedlicher Raumkonfigurationen: sowohl Begegnungsräume für soziale Interaktion als auch individuelle Rückzugsmöglichkeiten. Sein polyzentrisches Raumgefüge aus zehn einzelnen Baukörpern bildet kein Zentrum und zieht keine Grenzlinie. Eigentlich wollte der Bauherr nur eine Wohnung für sich und eine weitere Einheit zum Vermieten. Doch der Architekt Ryue Nishizawa baute ihm eine Miniatur-Stadt. Die Baukörper beherbergen sowohl gemeinschaftlich genutzte Bereiche, Küchen und Bäder, als auch die privat genutzten Zimmer. Der Garten des Moriyama House verbindet die einzelnen Wohnkuben. Er ist das aktive Bindeglied der Häuser und zentraler Bestandteil des kollaborativen Wohnkonzeptes.
Jeder Bewohner verfügt über einen klar definierten Bereich, der aber, anders als abgetrennte Geschosswohnungen, mehr Möglichkeiten des Miteinanders bildet. Denn nur wenige Raumnutzungen, wie Küche und Bäder, sind festgelegt. Wie man die restlichen Räume nutzt, das kann situativ nach Bedarf entschieden werden. So bietet das Wohnhaus ausreichend Platz für verschiedene Lebensstile und -phasen und jederzeit Raum für soziale Integration.
Die wachsende Anzahl der Einpersonenhaushalte, deren Anteil besonders in den Metropolen zunimmt, stellt im Hinblick auf den damit verbundenen sozialen Stress, wie ihn Prof. Adli beschreibt, eine Herausforderung für die Städte dar. Durch hohe Mietkosten steigt der Bedarf an kleinen Wohneinheiten. Das bedeutet aber nicht, dass der Einzelne weniger Raum beansprucht. Vielmehr werden sich neue Wohnformen und kollaborative Räume in den Städten In den Städten werden sich neue Wohnformen und kollaborative Räume etablieren etablieren. Fehlende Entfaltungsmöglichkeiten im eigenen Wohnraum werden im Stadtraum und durch Serviceangebote kompensiert. Wem das Home Office zu unkommunikativ ist, der mietet sich einen Tisch im Co-Working Space. Wer zum Dinner einladen möchte, aber nicht über den entsprechenden Platz verfügt, bucht sich eine Küche.
Strategien wie Shareness, also Ressourcen gemeinschaftlich zu nutzen statt zu besitzen, beeinflussen auch neue Haustypologien und Nutzungskonzepte. In dem Hochhaus von Riken Yamamoto werden die Loggien der Apartments zu Dorfplätzen und damit zu Orten des Austausches. In dem Projekt „Yokohama Apartment“ versammelt das Architekturbüro On Design vier Kleinstwohnungen in Form von Minihäusern unter einem Dach. Der gemeinschaftliche, überdachte Freiraum im Zentrum hat keine genaue Nutzungsvorgabe. Er ist gleichzeitig Küche, Spielplatz, Arbeitsort, Garten und Ruhezone für alle. Privatsphäre und Gemeinschaftsleben sind hier keine Entweder-oder-Frage, sondern individuell und tagtäglich neu gestaltbar. Diese neuen Bausteine in der Stadt werden auch das Miteinander in urbaner Dichte stressfreier und damit lebenswerter machen.
In den kommenden Jahren wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung immer höher. Auch in den Städten. In New York City gehören die Senioren, die in Einpersonenhaushalten leben, sogar zu der am schnellsten wachsenden Personengruppe. Die Alterung der Gesellschaft hat Auswirkungen auf Stadtstrukturen, auf die Mobilität, den Dienstleistungssektor und die Architektur.
Die Strukturen der Städte von morgen müssen sich der demografischen Entwicklung anpassen. Forscherteams arbeiten bereits seit Jahren daran, dem immer größer werdenden alternden Teil der Gesellschaft mithilfe neuer Technologien das Leben in der Stadt zu vereinfachen. Das MIT AgeLab hat einen Anzug entwickelt, der es ermöglicht, die körperliche Konstitution wie Kraft, Beweglichkeit und Motorik einer 75-jährigen Person zu simulieren. Mit AGNES (Age Gain Now Empathy System) kann so das optimale Design für alltägliche Dinge und Plätze in der Stadt erforscht werden.
Speziell in Deutschland – global das zweitälteste Land nach Japan – wird sich der Lebensalltag drastisch verändern. Laut Szenario des Statistischen Bundesamtes wird sich die Gesamtzahl der über 55-Jährigen in Deutschland von 24,24 Millionen Personen im Jahr 2000 auf 32,25 Millionen im Jahr 2030 erhöhen, um bis zum Jahr 2050 wieder leicht auf 31,48 Millionen zurückzugehen (auf Grund einer weniger zahlreichen nachrückenden Alterskohorte). Das hat Folgen: Altersabhängige Erkrankungen wie die Alzheimer-Demenz führen zu einem dringenden Bedarf an alternativen Wohnkonzepten. Die Erkenntnisse des Neuro-Urbanismus können helfen, eine integrative Stadtstruktur zu etablieren Für das Krankheitsbild Demenz spielt die Altersklasse der über 80-Jährigen eine besondere Rolle, da Demenz hier zunehmend häufig auftritt. Die Zahl der 80- bis 84-Jährigen wird sich von 1,47 Millionen im Jahr 2000 auf 4,04 Millionen im Jahr 2050 fast verdreifachen – die am stärksten wachsende Altersgruppe bis zum Jahr 2050. Damit steigt auch die Zahl der Demenzpatienten dramatisch an. Gemeinden und Kommunen versuchen bereits auf unterschiedliche Art, stadtplanerisch mit dieser kommenden Welle umzugehen. Die Erkenntnisse des Neuro-Urbanismus können hierbei helfen, eine integrative Stadtstruktur zu etablieren.
Elizabeth Burton von der Universität Warwick hat in ihren Studien die Auswirkung von Straßenverläufen auf die Belange von Senioren untersucht: Ein verzerrtes Raster, bei dem T-Kreuzungen entstehen, hilft Demenzkranken am besten bei der Orientierung, während starre Straßenraster mit gleichförmigen Kreuzungen, die in amerikanischen Städten häufig sind, und Straßensysteme mit Sackgassen, wie sie oft in suburbanen Siedlungen zu finden sind, zu Orientierungslosigkeit führen. Bei verzerrten Rastern steigen die Orientierungspunkte, Blickachsen werden verkürzt und immer wieder unterbrochen. Markante Merkmale an den Kreuzungen helfen, um sich an Wege und Orte zu erinnern. Aber nicht nur für Demenzkranke ist diese Form der Straßenführung hilfreich, auch Kinder profitieren von diesem System. In Zukunft wird es also um die Entwicklung neuer Lösungen gehen, die sowohl der jungen als auch der älteren Generation eine hohe Lebensqualität in ein und derselben Stadt gewährleisten.
Der Animationsfilm WALL–E zeichnet ein dystopisches Bild einer Menschheit, die sich der Unbeweglichkeit verschrieben hat: Vollkommen verfettete Menschen schweben auf schnittigen Fernsehsesseln durch eine Umgebung, die einem Ferienresort gleicht. Roboter sorgen für das perfekte Wohlbefinden der Menschen. Der Mensch muss sich um nichts kümmern, er braucht es sich nur noch bequem zu machen und darf sich unterhalten lassen. Selbst die Mahlzeiten werden in flüssiger Form verabreicht: im praktischen To-go- oder, in diesem Fall, „To-Hover“-Becher – gereicht von aufmerksamen Robotern.
Die Gegenwart zeigt in Ansätzen eine ähnliche Entwicklung – mit ausufernder Mobilisierung hat sich auch der Körperumfang der Menschen vergrößert. Nur dass unser Raumschiff-Resort die Vorstädte sind. Das Auto bringt uns von A nach B, die letzten paar Meter im Haus werden mit Fahrstuhl überwunden. Die To-go-Mentalität hat Essen in eine beiläufige Tätigkeit verwandelt, die durchgehend erfolgen kann. Mit der Folge, dass wir deutlich mehr als nötig verspeisen.
Aber nicht nur in Kopenhagen hat sich der Status des Zweirades verändert. In den letzten eineinhalb Jahren entwickelt sich ein wahrer Kult um den Drahtesel. Neue Radmarken und -typen etablieren sich, und die Branche für schicke Accessoires boomt. Denn auch beim Radeln gilt: Die Neue ortsbezogene Fitnessspiele machen die Stadt zur großen Spielkulisse eigene Individualität lässt sich durch die entsprechende stilvolle Radausstattung unterstreichen (mehr Informationen zum Trend „Cycle Chic“ im Trend Update 10/12).
Noch mehr Bewegungsanreize bieten digitale Urban Health Games. Der Trend zum Selfmetering, also dem Messen der eigenen Leistungen, wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Aber allein Wettbewerb mit sich selbst holt nicht alle vom Sofa in die Stadt. Hier hilft der Spieltrieb: Neue ortsbezogene Fitnessspiele machen die Stadt zur großen Spielkulisse und bieten einen attraktiven Markt für die Gesundheits- und Fitnessbranche. Gleichzeitig bieten diese Spiele aber auch Daten, die gerade für die Stadtentwicklung von Interesse sind: Wo halten sich die Menschen besonders gerne auf? Welche Räume werden gemieden? Wo trifft man sich? Die Analyse der Stadt mithilfe von digitalen Daten wird in Zukunft Stadtplanern, Architekten und Investoren bei der Planung und Umsetzung von Projekten helfen .
Eine aktive Stadt impliziert vollkommen neue Elemente und Strategien der Stadtgestaltung. Unterkomplex gedachte Einzelmaßnahmen werden auf Dauer keinen Bestand haben. Denn eine Stadt ist ein vielschichtiges Gebilde: Eine Maßnahme beeinflusst immer auch gleich andere Aspekte. Eine „Walkable City“ und attraktive Wohnquartiere sind nur einzelne Bausteine der gesunden Städte von morgen. Erst die geschickte Addition und Vernetzung unterschiedlicher Maßnahmen macht aus einer gesunden Stadt auch eine lebenswerte Stadt. Hierbei spielen neue Formen von Stadtlandschaften, bestehend aus vielfältigen Freizeitangeboten, unterschiedlichen Grünräumen und nutzungsvermischten Stadtquartieren, ebenso eine tragende Rolle wie technische Innovationen und ganzheitliche Gebäudelösungen. Stadtquartiere, die in kurzen Distanzen ein vielfältiges Angebot von Wohnformen, Arbeitsorten, Neue Angebote machen Arbeit und Freizeit ebenso durchgängig wie Stadt versus Natur Versorgungseinrichtungen und Erholungszonen bieten, sind dabei der Grundstein, auf dem das Urban Health Enviroment aufbaut.
Neue Stadtlandschaften weben sich mühelos in den flexiblen Alltag der urbanen Individualisten ein. Dabei wird das „Draußen“ und „im Grünen“, also Orte außerhalb der vier Wände, vollkommen neue Angebote bieten. Fernab verklärter Romantik von vermeintlich ursprünglicher Natur und akkuraten Parkanlagen entsteht derzeit eine enorme Vielfalt an Freizeitangeboten und Erholungsmöglichkeiten, die Arbeit und Freizeit ebenso durchgängig machen wie Stadt versus Natur. Urban Gardening kreiert neue Oasen der Ruhe auf ehemaligen Brachflächen und Dächern. Die urbanen Gärten sind aber nicht nur Erholungsräume, sie nehmen zunehmend auch eine wichtige Position ein, wenn es darum geht, sozialen Stress abzubauen und mit der Nachbarschaft in Kontakt zu treten: Sie tragen erheblich zu einem sozial stabilen Stadtquartier bei.
Indoor-Gärten werden das Fehlen von urbanen Gärten substituieren. Der Trend zum Indoor-Gardening verbreitet sich rasant, und immer intelligentere Systeme ermöglichen sogar den Gemüseanbau in den eigenen vier Wänden (umfassende Details zum Trend „Indoor Gardening“ im Trend Update 06/12). Die Verschmelzung von Natur und Wohnen ist ein wichtiger Trend in der Architektur. Das „Vertical Garden House“ in Tokio bietet Platz für zwei Wohnungen. Dabei sind die Übergänge zwischen Drinnen und Draußen fließend. Grüne Zonen bestimmen die Wohnräume, Gardinen trennen bei Bedarf die Loggien von der Straße.
Doch nicht jedes Grün ist im Hinblick auf die Gesundheit förderlich. In einer Gesellschaft, in der ein Großteil an Allergien leidet, kann so manches Grün die Lebensqualität mindern. Thomas Leo Ogren, Gartenbaukünstler und Pionier der allergiefreien Begrünung, beschreibt in seinem Buch „Allergy-Free Gardening“, wie negativ ein einzelner, hoch allergieauslösender Baum die Luftqualität beeinflussen kann. Ogren will das Bewusstsein für eine allergiefreie Begrünung in den Städten sensibilisieren. Da immer häufiger eine üppige Vegetation mit urbaner Architektur verknüpft wird, ist dieses Bewusstsein künftig elementar. Neben Stadtgrün steigt auch das Bedürfnis nach „Stadtblau“: Schwindende Industrie, innovative Technologien und ein verändertes Naturbild bieten modernen Kommunen die Chance, auch den Faktor Wasser auf ganz neue Art auszuspielen. Urbane Stadtstrände bieten 24h-Instant-Urlaubsfeeling. Schwimmbäder bieten zwar Badespaß, sind aber wenig alltagstauglich. Tasche packen, Eintritt zahlen, Chlorwasser – das alles braucht man beispielsweise beim Kopenhagener Harbour Bath nicht. Dort kann man sich mitten in der Stadt, direkt nach einer Shoppingtour, ins kühle Nass stürzen (der Trend „Urban Waters“ wird ausführlich im Trend Update 06/12 diskutiert).
Die Entwicklung des Urban Health Environments umfasst zwei Strategien, die das komplexe System ‚Stadt‘ verändern. Zum einen die sensible Transformation der vorhandenen städtischen Struktur durch das Implementieren von neuen Stadtbausteinen und technischen Innovationen. Gerade hier eröffnen sich neue Marktchancen für die Baubranche. Ein wichtiges Aufgabenfeld wird hierbei die Verbesserung des Stadtklimas sein. Denn in den Sommermonaten verwandeln sich Städte in heiße Betonwüsten, deren Bodenbeläge und Fassaden die Hitze speichern. Oft fehlen Lüftungsschneisen, so dass selbst nachts kaum Abkühlung zu erwarten ist. In einer alternden Gesellschaft, die häufig nicht gut auf klimatische Extreme reagieren kann, braucht es intelligentere Lösungen.
Die Forscher des Lawrence Berkeley „Kühlende“ Straßenbeläge verbessern Durchschnittstemperatur und Luftqualität Lab untersuchen die Auswirkungen von farbigen Straßenbelägen auf die Hitzeentwicklung einer Stadt. Die neuen Oberflächen sollen 30 bis 50 Prozent der Sonnenenergie abgeben. Zum Vergleich: Der herkömmliche Asphalt gibt nur fünf Prozent dieser Energie wieder ab. Mit den neuen Beschichtungen wären Straßen bis zu 4,5 Grad Celsius kühler. Ist mehr als ein Drittel der Straßen mit diesen „kühlenden“ Belägen versehen, würde dies nicht nur die Durchschnittstemperatur in der Stadt verringern, sondern auch die Luftqualität verbessern. Insbesondere dann, wenn man die Beläge mit Vegetation kombiniert.
Dabei spielt nicht nur die horizontale Vegetation eine wichtige Rolle, sondern auch jene in der Vertikalen. Grüne Fassaden, wie sie der Botaniker und Gartenkünstler Patrick Blanc entwickelt, sind wahre Multifunktionsfassaden: Sie filtern Schadstoffe aus der Luft, beeinflussen Humidität und Hitze und wirken gleichzeitig stressabbauend.
Mit der allmählichen Transformation der städtischen Räume durch eine Vielzahl von unterschiedlichen kreativen Ideen entstehen auch neue Architekturtypologien, die auf sich verändernde Bedürfnisse der Stadtbewohner reagieren. Diese Gebäude sind intelligente Hybride aus unterschiedlichen Landschaft und Natur verschmelzen zu einer neuen Techno-Natur Nutzungen und kombinieren verschiedene Aspekte der gesunden Stadt mit innovativen Technologien. Dabei steht aber nicht die technologische Performance im Vordergrund, sondern der Zusatznutzen für die Bewohner. Unter dieser Prämisse entwickelte das dänische Architekturbüro BIG eine neue Gebäudetypologie für Müllverbrennungsanlagen. Ihr Entwurf ist nicht nur ein Baustein in der Kopenhagener Abfallentsorgungskette, sondern ein neuer Freizeitort: eine Skipiste. Die Form des Gebäudes bietet eine breite Abfahrt mit Blick auf die dänische Hauptstadt. Statt die durch die Verbrennung entstehende Energie einfach in die Atmosphäre zu pusten, wird sie zur Kühlung der Piste verwendet.
Die „Gardens by the Bay“ in Singapur sind eine ähnliche hybride Konzeption. Künstliche, multifunktionale Bäume aus Stahl regulieren das Klima der Gewächshäuser des botanischen Gartens. Gleichzeitig sind diese Science- Fiction-Bäume bepflanzt und dienen als fantastische Aussichtsplattformen. Landschaft und Natur verschmelzen hier zu einem neuen Ansatz von artifizieller Techno-Natur und werden das allgemeine Verständnis des „Klimaraumes“ Stadt verändern. Das französische Architekturbüro SOA denkt den Trend des Urban Gardenings weiter und hebt ihn auf eine neue Stufe: In dem Projekt „La Tour Vivante“, eine Art Super-Gebäudehybrid, kombinieren sie urbane Landwirtschaft, Wohnen, Freizeit und Arbeiten in einem Hochhaus, das in sich ein autarkes Versorgungs- und Energiesystem ist.
Diese Beispiele sprechen eine neue, pragmatische und dennoch sinnliche urbane Sprache. Die innovativen Gebäudetypologien stehen sinnbildlich für ein neues Verständnis von Stadt: eine Stadt, die trotz hoher sozialer Dichte ein gesundes, urbanes Leben voller Lebensqualität ermöglicht und fördert. Eine Stadt, die aktiv von ihren Bewohnern gestaltet und belebt wird. Die Forschungen zur Beziehung zwischen Gesundheit und Umwelt werden in Zukunft weiter ins Detail gehen. Die gewonnenen Erkenntnisse bieten sowohl für die Baubranche wie auch für Städte und den Gesundheitsmarkt neue, spannende Märkte. Denn auch wenn die Entwicklungen zu einem Urban Health Environment in den Industrienationen gerade erst erste Triebe zeigen – in absehbarer Zeit werden auch die Megastädte der Schwellen- und Drittweltländer mit diesem Transformationsprozess beginnen. Denn im Jahrhundert der Städte werden weltweit die Menschen mit wachsendem Lebensstandard ähnliche Anforderungen an ihren Lebensraum stellen.
Die 2012 erschienene Studie „Die Gesundheit von Erwachsenen in Deutschland“ (DEGS) des Robert Koch-Instituts (RKI) verdeutlicht: Der Gesamtanteil der übergewichtigen Erwachsenen in Deutschland liegt für Männer bei 67 und für Frauen bei 53 Prozent. Die gute Nachricht dabei ist: Der Gesamtanteil ist genauso groß wie Ende der 1990er Jahre. Allerdings lässt sich innerhalb dieser Gruppe eine Verschiebung hin zu höheren Gewichtsklassen feststellen, weshalb die Adipositas heute häufiger ist. „Besonders bei jungen Männern und Frauen unter 35 Jahren ist der Anteil der Adipösen überproportional gewachsen“, beobachtet der RKI-Experte Gert Mensink.
Die körperliche Herausforderung wieder in den Alltag zu implementieren spielt in einer gesunden Gesellschaft eine zentrale Rolle. „Burn Calories – Not Electricity“ steht auf einem Plakat, Walkability“ wird dabei zu einem wichtigen Schlagwort für das Stadtdesign von morgen das man in den öffentlichen Gebäuden von New York City findet und das die Entscheidung befördern soll, lieber Treppen zu steigen, als den Lift zu benutzen. Der Bürgermeister der Metropole, Michael Bloomberg, verweist auf Studien, wonach fast zwei Drittel der New Yorker übergewichtig oder gar fettleibig sind. „Walkability“, also die fußläufige Stadt, wird dabei zu einem wichtigen Schlagwort für das Stadtdesign von morgen. Bloombergs Active Design Guidelines wollen hierfür Architekten und Planern ein Werkzeug an die Hand geben, das ihnen hilft, eine grüne und aktive Stadt zu konfigurieren. Was aber implizieren die Begriffe „grün“ und „aktiv“ für die Stadtplanung? Wie verändert man eine über Jahrzehnte entwickelte Form von Alltagsbequemlichkeit, bei der Bewegung außerhalb von Sporteinheiten kaum stattfindet?
Die Robert Wood Johnson Foundation definiert hierzu fünf wichtige Design- Apekte, die in ihrer Gesamtheit attraktive Räume schaffen sollen. Mit der gewünschten Konsequenz, dass man sich gerne durch diese bewegt – zu Fuß oder mit dem Fahrrad – und sich auch gerne in ihnen aufhält. Zu den Aspekten gehören Bildhaftigkeit, Raumgrenzen, menschlicher Maßstab, Transparenz und Komplexität. Ein Ort hat eine hohe Bildhaftigkeit, wenn bestimmte körperliche Elemente und deren Anordnung Aufmerksamkeit erfordern, Gefühle wecken und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Raumgrenzen schaffen eine visuelle Orientierung und bestimmen somit den Zweck des Raumes. Gerne kommt man beispielsweise in kleinen Gärten oder Parks zur Ruhe, während man große Plätze in der Stadt hierfür eher meidet. Transparenz bezieht sich auf den Grad, in dem die Menschen Objekte und Aktivität sehen oder wahrnehmen können.
Den wichtigsten Aspekt dabei beschreibt das Wort Komplexität. Komplexität impliziert visuelle Vielfalt eines Ortes und seiner physischen Umgebung. Der Highline Park in „Big Apple“ vereint diese fünf Design-Aspekte. Die ehemalige Hochbahn ist nun ein linearer Park, abwechslungsreicher Erholungsort und vibrierender Treffpunkt der Stadt. Gerne erklimmt der Städter die zahlreichen Treppen, baut sie in seine tagtäglichen Aktivitäten und in sein Sportprogramm ein. Denn einmal oben angekommen, bietet sich ein einmaliger Blick auf die Metropole. Zahlreiche Veranstaltungen machen den Ort auch für Bewegungsmuffel attraktiv.
Wie viel Zeit der Fußweg von A nach B in Anspruch nimmt, ist in gängigen Straßenkarten schwer abzuschätzen. Bevor man zu lange unterwegs ist, entscheidet man sich dann doch lieber für das Auto oder die Bahn. Die spanische Stadt Pontevedra bietet deswegen eine Karte, die nicht nur die Distanz zwischen zwei Destinationen angibt, sondern auch die Zeit, die der Weg zu Fuß benötigt. In Kopenhagen gehört das Fahrrad zu den wichtigsten Verkehrsmitteln. Um ihren radelnden Bewohnern noch mehr Verkehrssicherheit zu bieten, baut die Stadt „Fahrrad-Autobahnen“. Diese Schnell-Routen sind frei von parkenden oder gar fahrenden Autos und attraktive Grünräume, die einzelne Quartiere miteinander verbinden.
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