Womit viele Firmen Probleme haben in einem Veränderungsprozess, das ist die Orientierung. Die Menschen sind unsicher, und niemand will sich gerne verändern. Häufig herrscht aber ein Veränderungsdruck, eine Change-Pressure, ohne dass klar ist, wo es lang gehen kann. Die Entscheidungsunsicherheit, die Ambivalenz, ist daher sehr stark.
Diese Ambivalenz versuchen wir mit Agitation – einer krankhaften Unruhe – zu bewältigen. Wenn Sie sich einmal den Spaß machen, in sämtlichen Bereichen Ihrer Organisation das Thema Agitation zu streichen, sind Sie wahrscheinlich erstaunt, wie wenig übrig bleibt. Das permanente Agieren ist eine Art Betäubung. Man merkt gar nicht, dass man damit kein Problem löst, sondern nur ein weiteres erzeugt.
Wenn man auf diese Agitation verzichtet, entsteht Hilflosigkeit. Daher ist die Frage “Was soll ich tun?” tatsächlich die am häufigsten gestellte Frage in meinen Coachings. Wie kommt es zu dieser Hilflosigkeit? Indem man durch ständiges Nachdenken über Möglichkeiten versucht, eine Lösung zu entdecken. Dann werden unterschiedliche Lösungsansätze gefunden, und emotional bewertet. Aber nichts scheint richtig zu sein. Mein Hinweis lautet dann: Wenn man nicht weiß, was man tun soll, soll man erstmal nichts tun. Das ist sehr unpopulär, weil wir darauf gedrillt sind, immer etwas tun zu müssen. Dabei ist es die größte Souveränität, die eigene Hilflosigkeit auszuhalten.
Intuition ist etwas, das jenseits der Emotion ist. Sie müssen sich das so vorstellen: Sie können sich zu einer für Sie bedeutenden Frage nicht entscheiden. Dann ist es wichtig, dass Sie aus dem Entscheidungsprozess, der ja ein mental-emotionaler Lösungsprozess ist, aussteigen und Ihr Unbewusstes anzapfen. Das können Sie aber nur, wenn Sie sich selber Ruhe geben. Wir haben in uns einen Prozess, der automatisiert genau so abläuft: der Schlaf. Schlafend trennen wir die externen Einflüsse ab und das Gehirn verarbeitet unbewusst.
Aktiv erreichen Sie das, indem Sie sich nicht mehr mit dem Problem beschäftigen. Und dann, wie aus dem Nichts, entsteht ein Gefühl des Stimmigen. Sie sagen: “Ich habe ein gutes Gefühl.” Es ist zwar genau genommen kein richtiges Gefühl, aber ein Sekundärgefühl. Dieses Empfinden ist interessanterweise gleichzusetzen mit der Kompetenz zu lieben.
Die Liebe ist kein emotionales Gefühl, sondern das Empfinden der Verbundenheit. In einer Ehe, in einer Familie erleben wir vielfältige Gefühle, die auch ambivalent sein können. Und trotzdem ist diese tiefe innere Verbundenheit, das innere Band, stets spürbar. Das ist etwas, das mit keinem Gefühl konkurriert. Die Liebe als Verbundenheit ist völlig untangiert von dem Emotionalen. Die Liebe stellt ein Paralleluniversum zum Gefühlsuniversum dar.
Wenn Sie also auf Ihre Intuition hören, dann werden Sie genau die Erfahrung machen, dass Sie plötzlich in einer Ambivalenz-Entscheidung gegenüber dem einen Weg entgegen dem anderen mehr Ruhe empfinden. Das ist die Intuition. Zum Beispiel: Soll ich mir das Haus kaufen Intuition ist der plötzliche Einbruch eines Ruhegefühls in eine Entscheidungs-Ambivalenz oder nicht? Was spricht dafür und was dagegen? In so einem Fall der Intuition zu folgen, heißt einfach: zu warten, bis Sie angesichts der einen Option mehr Ruhe empfinden. Intuition ist der plötzliche Einbruch eines Ruhegefühls in eine Entscheidungs-Ambivalenz. Dieses Empfinden ist, im Gegensatz zu Emotionen, äußerst weise. Sie können zwar nachher gar nicht sagen, warum Sie sich für etwas entschieden haben, aber Sie können sich darauf verlassen. Warum? Weil die intuitive Entscheidung unbewusstes Wissen und Erfahrungen in die Entscheidungsprozesse mit einbezieht. Damit wird diese Entscheidung wesentlicher und ganzheitlicher.
Univ. Prof. Dr. Michael Lehofer ist ärztlicher Leiter der Abteilungen für Psychiatrie 1 und 3 und Bereichsleiter Neuropsychiatrie am LKH Graz Süd-West. Er ist Psychiater, Psychologe, Psychotherapeut, Führungskräftecoach und Philosoph.