Wir leben in der „Plastikzeit“: Nützliche Produkte aus Kunststoff umgeben uns, aber auch immenser Plastikmüll. Die radikale Wende der Abfallproduktion unserer Konsumkultur ist noch nicht in Sicht. Doch spätestens die Erkenntnis, dass wir tagtäglich winzige Plastikteilchen über die Nahrung zu uns nehmen, macht den Handlungsbedarf klar und deutlich. Langsam aber sicher wird der Anhäufung von immer weiter wachsenden Plastik- und Abfallbergen der Kampf angesagt. Nicht zuletzt wird die im Frühjahr 2019 vom EU-Parlament verabschiedete Plastikstrategie das Bewusstsein der Konsumenten stärken, aber vor allem auch die Hersteller in die Pflicht nehmen.
An Alternativen zu herkömmlichen Plastikverpackungen wird geforscht und einige vielversprechende Produkte und Lösungen existieren bereits, wie die folgenden Best Practices aus dem Food Report 2020 zeigen. Nun gilt es, diese aus der Nische zu holen und ihre Massentauglichkeit zu testen. Der Weg in die Post-Plastic- und Zero-Waste-Ära ist noch lang – je früher wir die Reise starten, desto besser.
Derzeit nur als Prototyp vorhanden, aber trotzdem höchst zukunftsfähig: die nachhaltige Frittentüte. Bei der Herstellung von Pommes Frites fallen Unmengen an Kartoffelschalen an. Auch diese eignen sich wie andere pflanzliche Abfallprodukte dafür, zu Verpackungen verarbeitet zu werden, dachten sich die italienischen Designstudierenden Simone Caronni, Pietro Gaeli und Paolo Stefano Gentile. Kartoffelschalen bestehen aus Stärke- und Faserkomponenten, die sich verbinden und verhärten lassen. Daraus können Cones geformt werden, die sich passenderweise als Behältnisse für Pommes-on-the-go eignen. Die Fritten werden somit in der gleichen „Schale“ serviert, in der sich die Kartoffel ursprünglich befand. Nach der Verwendung kann die Verpackung wieder in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden, um als Tiernahrung oder Düngemittel für Pflanzen zu dienen.
Trinkhalme aus Plastik sind ab 2021 EU-weit verboten. Kein Wunder, schließlich landen jeden Tag Milliarden Einweg-Trinkhalme nach kurzem Gebrauch direkt im Müll – und letztendlich als Mikroplastik-Partikel im Meer und in unseren Lebensmitteln. Alternativ gibt es nun wiederverwendbare und spülmaschinentaugliche Trinkhalme aus Edelstahl oder auch aus Glas, wie sie das Berliner Start-up HALM herstellt.
Oder essbare Trinkhalme aus nachwachsenden Rohstoffen: So bieten die jungen Gründer von Wisefood einen Trinkhalm aus Getreide, Apfelfasern und Stevia. Für die Herstellung des „Superhalm“ wird Apfeltrester verwertet, ein Abfallprodukt aus der Apfelsaftproduktion. Die Trinkhalme haben einen süßen und leicht sauren Geschmack. Je länger der Trinkhalm im Getränk bleibt, desto weicher wird er. Ob wiederverwendbar oder essbar – sie sind eine nachhaltige Variante zum herkömmlichen Plastik-Halm.
Das Schweizer Unternehmen Pacovis produziert nicht nur ein großes Sortiment an natürlichem, zu 100 Prozent biologisch abbaubarem Geschirr, sondern bringt nun auch aus Pflanzenölen und pflanzlicher Stärke hergestellte Beutel- und Folienlösungen auf den Markt. Sie können die zahlreichen im Einzelhandel und im Haushalt verwendeten Plastik-Pendants ersetzen, als Grünabfallbeutel genutzt und in der Biotonne entsorgt werden. Die Produkte sind plastikfrei und werden entweder aus Agrar-Reststoffen oder aus schnell nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen hergestellt. Gleichzeitig setzt das Unternehmen auf sozial-ethische und ökologische Standards – ein rundum nachhaltiges Konzept.
Flächendeckend kunststofffreie Supermärkte sind aktuell noch eine Zukunftsvision. Doch inzwischen testen bereits weltweit Supermärkte, wie ihre Kunden auf ein Sortiment ohne Plastik reagieren. Tesco, Großbritanniens größter Einzelhändler, startete im März 2019 einen Pilotversuch in zwei seiner Extra-Märkte in Watford und Swindon: 45 Artikel, die bislang verpackt waren, werden nun lose angeboten. Wenn die Reaktionen der Kunden positiv sind, plant Tesco die plastikfreien Angebote auch in anderen Stores. Zusätzlich will der Retailer bis 2025 nur noch recycelbare Verpackungen einsetzen. Die neuseeländische New World-Supermarktkette verfolgt ein ähnliches Projekt unter dem Titel „Food in the nude“ („nacktes Essen“). Dabei verzichten seit 2018 einige Läden komplett auf Plastik in den Obst- und Gemüseabteilungen. Die Kunden sind mehrheitlich begeistert.
Das amerikanische Start-up Apeel Sciences geht mit seinem essbaren Schutzspray für Obst und Gemüse gleich zwei Probleme an: Diese zusätzliche Schale verlängert die Haltbarkeit der Produkte, indem sie Feuchtigkeitsabgabe und Sauerstoffaufnahme verhindert. Das reduziert die Oxidation und verlängert die Haltbarkeit unter anderem von Paprika, Bananen, Tomaten, Grünen Bohnen und Co. deutlich. Gleichzeitig wird das geschmacksneutrale, kalorienarme Coating aus Abfallprodukten wie Obstresten hergestellt. Die Idee findet in der Industrie reichlich Anklang, inzwischen unterstützen diverse Investoren das junge Unternehmen. Erste Produkte, etwa beschichtete Avocados, sind in US-Supermärkten erhältlich.
Der Online-Lebensmitteleinkauf erhöht derzeit den Einsatz von Einwegverpackungen enorm. Die Plattform Loop des Recycling-Unternehmens Terracycle bietet bald eine sinnvolle Alternative: Über den Online-Shop können Markenprodukte zahlreicher Hersteller, u.a. von Häagen-Dazs oder Hellmann’s, online bestellt werden, die in von Loop zur Verfügung gestellten, wiederverwendbaren Behältern geliefert und nach Verwendung wieder abgeholt, hygienisch gereinigt und erneut befüllt werden. Kosten sollen die Produkte genauso viel wie in den herkömmlichen Behältern. Der Hin- und Rücktransport erfolgt in speziellen Kühltaschen und macht Karton- und Styropor-Kisten sowie Kühlelemente überflüssig. Eine smarte Innovation für den boomenden Lebensmitteleinkauf im Netz. Loop startete im Mai 2019 in den USA und Frankreich.
Das Unternehmen Compostella aus Hessen produziert ein reines Zellulosepapier, das 2018 mit dem Bundespreis für Ecodesign ausgezeichnet wurde. Das „1 für 4-Papier“ ist kompostierbar und durch eine mechanische Behandlung fettdicht, hitzebeständig und für den direkten Kontakt mit Lebensmitteln geeignet. Es ersetzt Alu- und Einschlagfolien sowie silikonisiertes Backpapier. Last but not least dient es auch als Frischhaltefolie: Indem man es unter Wasser hält, lässt es sich leicht formen und als Papierfolie über die abzudeckenden Speisen spannen. Die Idee für ein Verpackungspapier, das sich kompostieren und somit zurück in den Kreislauf bringen lässt, trieb den Geschäftsführer Arnold Schleier schon seit den 1980er Jahren an, als er noch in einer Papierfabrik arbeitete. Außerdem finden sich im Sortiment von Compostella Bio-Kunststoff-Beutel auf Maisstärkebasis, die die dünnen Plastiktüten in den Obst- und Gemüseabteilungen der Supermärkte ersetzen können, und ein Klebeband – natürlich kompostierbar.
Das Münchner Start-up RECUP möchte nichts Geringeres als ein „flächendeckendes und einheitliches Coffee-to-go-Pfandsystem für ganz Deutschland“ schaffen. Mit inzwischen 2.000 Standorten ist das im Herbst 2016 gegründete Unternehmen auf dem besten Weg dorthin – im Januar startete gar ein Pilotprojekt in der südafrikanischen Stadt Durban. Die Lösung mit Mehrwegbecher ist denkbar einfach – vorausgesetzt, Kaffeeanbieter und Kaffeetrinker machen mit. Gäste zahlen einen Euro Pfand und können den Becher bei der nächsten Coffee-to-go-Bestellung gegen einen frischen tauschen oder erhalten bei Abgabe den gezahlten Betrag zurück. Dabei kann der Becher bei allen RECUP-Partnern zurückgegeben werden. Die aus Polypropylen bestehenden Becher sind spülmaschinengeeignet, in drei Größen und mit Mehrwegdeckel erhältlich. Neben kleineren Cafés und Bäckereien, die zu den ersten Kunden gehörten, bieten nun auch Unternehmen wie VW in Wolfsburg, Dat Backhus und die Biosupermärkte Alnatura, basic und Bio Company den RECUP an.
„Sackerl“ ist das österreichische Wort für Tüte. Und das Nana-Sackerl des Unternehmens NaKu (kurz für: Naturkunststoff) wird nicht nur aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Aus ihm wächst auch, wenn man es kompostiert, wieder neuer, essbarer Rohstoff nach: nämlich frisches Gemüse und Obst. Denn auf den Nana-Sackerln ist ein (biologisch abbaubarer) Sticker angebracht, unter dem sich kleine Samen verbergen. Steckt man die nicht mehr gebrauchte Tüte zum Kompostieren in die Erde oder legt den Samen-Sticker mit etwas Erde bedeckt in einen Blumentopf, beginnen die Samen zu keimen und bald zu Pflänzchen heranzuwachsen. So können sich später Auberginen, Tomaten oder Birnen ernten lassen. Nana dient vor allem als originelle Visitenkarte für das Unternehmen, das sich mit der Entwicklung natürlicher Kunststoffe und der Evaluierung von bislang nicht verwendeten Rohstoffen beschäftigt.
Foto: Simone Caronni, Pietro Gaeli, Paolo Stefano Gentile