Die Diskussion und Bewertung demokratischer und selbstorganisierender Unternehmensführungsmodelle ist geprägt von lohnenden und abschreckenden Bildern: Auf der einen Seite Beispiele aus der Tierwelt, in der durch Schwarmintelligenz – ganz ohne Chef – sehr agil auf die Veränderungen äußerer Umstände reagiert werden kann; auf der anderen Seite Beispiele zermürbender politischer Diskussionen, in denen Problemlösungen durch nicht enden wollende Ausgleichsbestrebungen zwischen Zentralismus und Föderalismus kaum mehr möglich sind. Jedenfalls sind Zweifel angebracht, und das zeigt sich nicht nur an prinzipiellen Überlegungen, sondern auch im zugrundeliegenden Ausgangspunkt.
Holacracy ist eine Organisationstheorie, bei der Befugnisse und Entscheidungsfindung auf sich selbst organisierende Teams verteilt werden anstatt über eine eine traditionelle Management-Hierarchie. Doch wenn Holacracy die Antwort ist, was genau war eigentlich die Frage? Und lässt sich diese Frage tatsächlich am leichtesten und zielführendsten durch eine Reorganisation beantworten? Bei schonungsloser Offenheit erkennt man dann: Das Nachdenken über eine neue Organisationsstruktur ist nur eine Ausrede, um nicht über schlechte Führung sprechen zu müssen. Doch der für Zukunftssicherheit notwendige Paradigmenwechsel erlöst sich nicht in neuen Organisationsmodellen, sondern in einem neuen Führungsverständnis – das zunächst auch in althergebrachten Strukturen durchaus seine Wirksamkeit entfalten kann.
Gute Führung macht auch in einer Matrixorganisation einen immensen Unterschied zum Positiven; umgekehrt kann Holacracy schlechte Führung nur minimal ausgleichen. Vielversprechender erscheint folglich der Ansatz, die Führungsarbeit zu optimieren. Dass sich dies auszahlt, hat die Unternehmensberatung Mercer kürzlich in einer Studie erneut bestätigt. Demnach führt eine um 15 Prozent bessere Führungsleistung zu einer Steigerung der Profitabilität um 27 Prozent. Leadership zu verbessern hat also eine enorme Hebelwirkung.
Neues Führungsverständnis, neue Strukturen
Allzu oft findet die Auseinandersetzung mit guter Führung nur auf institutioneller Ebene statt, zum Beispiel im Rahmen der Auswertung der aktuellen Mitarbeiterbefragung oder im Zuge einer Ausbildungsmaßnahme. Dann wird ein zweitägiger Retreat benötigt, um sich ernsthaft mit sich selbst und seiner Wirkung auf das Unternehmen zu beschäftigen. Leider ist die Wirkung dieser Überlegungen dann bereits auf dem Rückweg vom Seminar verpufft. Im Alltag der Manager spielt diese Reflektion keine ausreichend starke Rolle.
Das ist umso erstaunlicher, als in der Studie von Mercer zu Tage tritt, dass nur knapp mehr als ein Drittel aller Führungskräfte ihre Aufgaben sachgerecht erfüllen und gute Führungsarbeit leisten. Schon der Gedanke am Ende eines jeden Arbeitstages, welche Führungserfahrung der Tag gebracht hat und wie man sich künftig verbessern möchte, könnte vielfach Wunder bewirken – idealerweise findet dieses Nachdenken dann auch nicht alleine statt, sondern in einem Gespräch mit einem Vertrauten; das wären optimal investierte 15 Minuten pro Tag.
Die drei Dimensionen der Leadership von morgen
Auf das Zeitalter des zahlen- und entscheidungsorientierten Managements folgt die Ära der kulturstiftenden Führung.
Kompetenz: Erfahrungswissen und ausgleichend wirkende soziale Stärken werden in Zukunft noch mehr Gewicht erhalten. Vor allem in agilen und dezentralen Strukturen, die selbstregelnde (und damit auch autark entscheidende) Einheiten bilden.
Charakter: Werthaltung löst sich vom aufoktroyierten Compliance-Management und wird zu einer Selbstverständlichkeit, indem nur moralisch gefestigte Persönlichkeiten eine Chance haben. Das bedeutet auch eine neue Authentizität der Leadership.
Kultur: Durch Führung auf normativer Ebene sind die Leader von morgen selbst Gestalter der Unternehmenskultur – und stoßen dabei auf Leitprinzipien für das Gelingen: Offenheit, Transparenz, Vertrauen und Respekt sind Werte, die Menschen überall verstehen und schätzen.