Die Corona-Krise hat sie über Nacht berühmt gemacht. Noch kurz davor lediglich als Nischenphänomen wahrgenommen, wurden sie zu einer wichtigen Säule der städtischen Nahversorgung mit Speisen: Die „Geisterküchen“ – Restaurants, in denen nur gekocht wird, in denen aber keine Gäste bedient werden. Mit den Ghost Kitchens hat sich freilich schon vor der Krise eine Disruption der Alltagsgastronomie angekündigt. Nun passiert sie schneller als erwartet. Die mit Geisterküchen operierenden neuen Food-Delivery-Plattformen entwickeln sich zum Netflix und Spotify der Gastro-Branche.
Dass nicht mehr die Gäste ins Restaurant fahren (oder gehen), sondern Boten Menüs aus dem Restaurant liefern, ist grundsätzlich nichts wirklich Neues. Seit Jahren gehören auch in europäischen Städten die Fahrradkuriere diverser Lieferservices zum alltäglichen Bild. In den USA sind die Essensverkäufe via Lieferdienst schon seit einigen Jahren höher als in Restaurants. Eine Entwicklung, die sich – so prognostizierte das internationale Consulting-Unternehmen L.E.K. schon 2019 – weiter fortsetzen wird. Bis 2023 werden demnach die Einnahmen durch Außer-Haus-Lieferungen voraussichtlich mehr als dreimal so schnell wachsen wie die Verkäufe in den Restaurants vor Ort, wobei die digitalen gegenüber telefonischen Bestellungen weiter zunehmen werden.
Was angesichts der Corona-Krise nun auch im deutschsprachigen Raum notgedrungen erprobt werden musste, könnte deshalb auch hier rascher zu einer neuen Gastro-Normalität werden. Klassische Restaurants mit (Selbst-)Bedienung jenseits der Hauben- und Sternegastronomie, die die unmittelbare Krise überleben, sollten sich nicht in Sicherheit wiegen und ohne Alternativpläne auf die Wiederkehr der Vor-Krisen-Normalität hoffen.
Dem Außer-Haus-Markt droht vor allem deshalb eine disruptive Entwicklung, weil sich mit den neuen Plattformen die Machtverhältnisse zwischen Lieferanten und Restaurants, die sich auf Delivery-Angebote spezialisiert haben, völlig umzukehren drohen. Denn die Lieferservice-Unternehmen beschränken sich nicht mehr bloß auf simple Botendienste, sondern entwickeln sich in einem enormen Tempo zu Food-Plattformen, die – basierend auf den via Apps generierten Kundendaten – völlig neue Gastronomiekonzepte hervorbringen: Von Delivery-only-Restaurants bis zu virtuellen Restaurants, die lediglich als Marke existieren und Speisen in eigens errichteten und selbst betriebenen „Ghost Kitchens“ oder „Dark Kitchens“ (alternativ auch „Silent Kitchens“ genannt) zubereiten. Diese können auch viel flexibler auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren sowie in traditionelle Geschäftsfelder von Catering-Unternehmen vordringen: Sei es in Form von Pop-up-Kitchens oder Streetfood-Trucks bei saisonalen Events oder in Stadtentwicklungsgebieten, wo die Errichtung neuer stationärer Restaurants mit hohem finanziellen Risiko verbunden ist.
Wozu, so fragen sich auch mehr und mehr Gastronomen und Gastronominnen, soll ich teure Mieten in gut frequentierten Lagen zahlen, Service-Personal anstellen und in die Ausstattung von Gasträumen investieren, wenn der Großteil meines Geschäfts (in Zukunft) ohnehin aus Außer-Haus-Lieferungen besteht? Für eine Vielzahl amerikanischer Restaurants jenseits der Hotel- und Gourmet-Szene ist das einleuchtend. Denn Pizza, Burger, Bowls und Co. lassen sich zu Hause tatsächlich meist gemütlicher verspeisen als in den vielen unattraktiven Durchschnittslokalen, die sich nur zum Sattwerden, aber selten zum Essen eignen – jedenfalls nicht zum Essen, wie wir es in europäischen Restaurants und Gaststätten gewohnt sind.
Die Online-Bestellung und -Bezahlung ist via Apps mittlerweile mit ein paar einfachen Fingertipps möglich. Auch Wartezeiten werden im heimischen Wohnzimmer nicht als so lange empfunden, und eine immer effizientere Zustell-Logistik verkürzt sie auch tatsächlich. Schließlich sorgen optimierte Verpackungssysteme zudem dafür, dass die Speisen den Transport besser überstehen: optisch und gustatorisch.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Food Report 2021. Autorin Hanni Rützler ist Pionierin der Ernährungswissenschaft, Beraterin und Trendforscherin mit einem multidisziplinären Zugang zu Fragen des Ess- und Trinkverhaltens.
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