Als Generation Z werden die Kinder und Jugendlichen betitelt, die seit dem Beginn des neuen Jahrtausends geboren wurden. Sie sind damit die ersten „echten“ Digital Natives. Gleichzeitig sind sie die Generation, die zeit ihres Lebens mit Krisen konfrontiert wurde, oder – anders ausgedrückt – von Eltern und anderen Erwachsenen betreut und begleitet wurde, die ihrerseits immer wieder durch schwierige Zeiten gehen mussten: Im Rückblick bleiben neben verschiedenen finanziellen Krisen – vom Platzen der ersten Dotcom-Blase bis hin zur Banken- und Immobilienkrise der Nullerjahre – die kollektiv erfahrene Bedrohung durch 9/11 sowie die als Flüchtlingskrise bezeichneten Migrationsbewegungen der Jahre 2015/16 im Gedächtnis; sowie die immer stärker wachsende Erkenntnis einer globalen Klimakrise.
Es scheint wenig überraschend, dass das Aufwachsen in diesen Jahren also dazu führt, dass jeder einzelne Jugendliche sehr gute Coping-Strategien ausbilden muss, um angesichts dieser gefühlten und medial verstärkten Bedrohungen nicht den Halt zu verlieren oder den Kopf in den Sand zu stecken.
Nachdem einer WHO-Umfrage zufolge das mentale Wohlbefinden in vielen europäischen Ländern bereits zwischen 2014 und 2018 deutlich zurückgegangen war, setzte die Pandemie mit der Unsicherheit drohender Schulschließungen, den Auswirkungen des Lockdowns, Homeschooling sowie geschlossenen Sportvereinen und Bildungseinrichtungen noch einen drauf.
Deutschland etwa rangiert in Bezug auf das Wohlbefinden von Kindern nur im oberen Mittelfeld auf Rang 14 von 41 Ländern, mit einem Anteil von immerhin einem Viertel aller Mädchen und Jungen, die mit ihrem Leben nicht zufrieden sind. Laut UNICEF waren Kinder und Jugendliche während der Schulschließungen vor allem von den folgenden Punkten betroffen:
Wie unglücklich Kinder und Jugendliche in Folge der geschlossenen Bildungseinrichtungen wirklich waren,
belegt sehr eindrücklich die COPSY-Studie (Corona und Psyche) des Hamburger UKE unter der Leitung der
Psychologin Ulrike Ravens-Sieberer. Ganze 71 Prozent der 11- bis 17-Jährigen fühlten sich demzufolge äußerst oder ziemlich belastet während der Corona-Krise. Und während vor der Pandemie eines von drei Kindern von einer niedrigen Lebensqualität berichtet hatte, verdoppelte sich dieser Anteil in dieser Zeit auf zwei von drei Kindern. Psychische Auffälligkeiten fanden sich bei 31 Prozent statt wie vorher bei 18 Prozent, vor allem Angststörungen nahmen zu. Zahlreiche Kinder entwickelten Einschlafprobleme und Kopfschmerzen.
Kinder seien viel „abhängiger von ihrem psychischen Umfeld als Erwachsene. Kinder und Jugendliche haben mehr Sorgen, wenn auch die Erwachsenen Sorgen haben“, beispielsweise wegen finanzieller Probleme oder der neuen Herausforderungen in Homeoffice und Kurzarbeit, erklärt Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck. Sie stellt heraus, dass es 3 verschiedene Effekte gibt, die die Pandemie bei Kindern ausgelöst hat.
Demnach gebe es eine kleine Gruppe, die vom Lockdown selbst eher profitiert habe. Das seien jene, die in der Schule großen Leistungsdruck verspürten oder gemobbt wurden und sich zuhause kurzzeitig entlastet fühlten – mit Wiederanlaufen des Schulbetriebs hatten sie dann allerdings noch mit viel mehr Schwierigkeiten zu kämpfen als zuvor. Der zweiten Gruppe rechnet sie die Kinder und Jugendlichen zu, die durch den fehlenden Zugang zu sozialen Medien und zum Internet die Anbindung an den Unterricht verloren hätten; als dritte Gruppe nennt sie diejenigen, die „in hoch pathologischen familiären Strukturen leben. Wir haben in dieser Zeit viele akute Belastungssituationen und Notfälle aufgrund von familiären Auseinandersetzungen registriert“.
Die Entwicklungsneuropsychologin Anja Karlmeier, die die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern der Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel leitet, hebt zudem noch eine vierte Gruppe als mental besonders gefährdet hervor: „Das sind die Jugendlichen etwa zwischen elf und 14 Jahren, die in einer kritischen Entwicklungsphase sind. In der Vorpubertät und frühen Pubertät wird alles eingerissen, was zuvor schon aufgebaut wurde: die Hirnentwicklung und die bisherigen Bindungen“. Gerade um diese jungen Teenager sollte sich nun besonders gekümmert werden. Jugendliche über 15 Jahren könnten sich hingegen besonders gut an neue Situationen anpassen, da es ihnen leicht fiele, Neues zu denken und permanent neue Anforderungen zu bewältigen, so Karlmeier bei ZEIT ONLINE.
Nicht nur durch Homeschooling, auch durch den Wunsch, mit Freunden in Verbindung zu bleiben, stieg der Medienkonsum bei Kindern und Jugendlichen an. Die Gleichung „Stärkere Mediennutzung = mehr psychische Probleme“ scheint bei näherer Betrachtung aber keine allgemeine Gültigkeit zu haben. Zwar kamen Studien in den letzten Jahren zum Schluss, dass eine höhere Social-Media-Nutzung ein geringeres psychisches Wohlbefinden bedinge, und sich starke Social-Media-Nutzung negativ auf das Selbstwertgefühl auswirkt. Natürlich kann es aber auch sein, dass vor allem die Jugendlichen, die bereits ein geringes Selbstwertgefühl an den Tag legen, mehr Zeit in den Social-Media-Kanälen verbringen – diese Effekte könnten sich gegenseitig verstärken, so die Forscher.
Andererseits werden die Kinder und Jugendlichen auch mit sozialen Medien durch schwere Zeiten begleitet, sie können aus den Erfahrungen anderer lernen und ihre (psychische) Gesundheit dementsprechend verbessern.Samira Rajabi, Direktorin der Technology Influenced Pedagogy an der University of Colorado Boulder, betont zudem, dass Jugendliche auf Social Media eine Möglichkeit finden, über Dinge zu sprechen, für die es woanders keinen Raum gibt. Dabei treffen sie auf Menschen, die unter ähnlichen Ängsten leiden. Dieser Austausch von Gedanken – explizit auch zu (psychischen) Gesundheitsproblemen – stellt einen hohen Wert in Zeiten der Verunsicherung dar, zumal vieles in der Kommunikation via Social Media mit Humor einhergeht.
Während die Generation Y vor allem Instagram für ihren Austausch nutzt und die Gen Xer sowie Babyboomer auf Facebook und Twitter setzen, hat sich bei der Generation ZTikTok als wichtigste Plattform etabliert. Denn auf TikTok gibt es nicht nur lustige Tänze oder verrückte Challenges, Jugendliche nutzen diesen Kanal auch, um über ihre Ängste und Sorgen, ihre familiären Probleme und Depressionen, ihre Sexualität und Beziehungsprobleme zu sprechen. Sowohl die aktiven TikToker als auch die passiven Nutzerinnen und Nutzer scheinen gleichermaßen von diesem geschützten Raum zu profitieren, der bislang so gut wie gar nicht von Menschen jenseits der 20 ernsthaft genutzt wird. So kann sich auch über diesen neuen Kanal eine neue Kultur im Umgang mit den unbestritten vorhandenen psychischen Problemen der Gen Z etablieren. Die Suizidpräventions-Kampagne „Du bist mir wichtig“ der Caritas erreichte auf TikTok und Instagram beispielsweise ein Millionenpublikum.
In der jungen Generation spricht man offen – im Gegensatz zu ihren Vorgängergenerationen – über psychische Probleme und mentale Gesundheit. Man teilt Erfahrungen, um voneinander zu lernen oder zu erfahren, dass es anderen ähnlich geht und man nicht alleine ist. Zu diesem neuen Umgang mit dem Thema seelisches Ungleichgewicht passt auch, dass die Generation Z zwar einerseits stärker mental herausgefordert ist als jede andere Generation vor ihr – so sind in den USA die Suizidraten der 10- bis 24-Jährigen zwischen 2007 und 2017 um 56 Prozent angestiegen und in Deutschland stellt Suizid die zweithäufigste Todesursache bei den unter 25-Jährigen dar.
Andererseits holen sich diese jungen Menschen aber auch mehr Hilfe, als das Jugendliche in früheren Zeiten getan haben. 37 Prozent der Mitglieder der Gen Z waren schon einmal oder sind in psychotherapeutischer Behandlung. Das ergab die APA Stress in America Survey 2018 (zum Vergleich: unter den Angehörigen der Gen Y sind es 35 Prozent, bei den Xern 25 Prozent, bei den Babyboomern 22 Prozent und bei noch älteren Menschen 15 Prozent). Die junge Generation ist folglich bereit, mentale Probleme anzuerkennen und sich professionelle Unterstützung zu holen.
Auswege werden bereits in Form neuer psychischer Gesundheitstools speziell für Kinder und Jugendliche angeboten. Neuartige Mental-Health-Produkte und technisch unterstützte Services, mit denen die Mitglieder der Gen Z künftig daran arbeiten können, ihr mentales Gleichgewicht wiederherzustellen oder gar nicht erst zu verlieren.
Projekte wie „The Friendship Bench“, bei dem bereits seit 2006 in Simbabwe Großmütter zu Gesprächstherapeutinnen ausgebildet und für niedrigschwellige Beratung eingesetzt werden, gehen auf den steigenden Bedarf ein. Mood-Tracking-Apps, die beim Internetsurfen Stimmungsprofile erstellen, schaffen bei Jugendlichen und ihren Eltern ein Bewusstsein für den mentalen Effekt der Internetnutzung. Smartphones können generell bei der Diagnose und Behandlung von psychischen Erkrankungen helfen und dazu beitragen, dass psychische Erkrankungen schneller erkannt werden bzw. den Patienten effizienter geholfen werden kann. Influencer, die über Depressionen twittern, Health Games zur Vorsorge und zur Linderung psychischer Belastungen oder Remote-Kinderbetreuung adressieren die gesteigerten Bedürfnisse.