Kinder fallen 3.000 Mal hin, bis sie laufen können. 99 Prozent aller Lebewesen auf der Erde sind massiv gescheitert – nämlich ausgestorben. Viele Welterfolge sind letztlich Produkte fataler Fehlschläge. Fazit: Wir fallen, stehen auf, lernen, werden immer besser. Warum aber wird das Scheitern in einigen Unternehmen belohnt – und in anderen getadelt?
Grundlage für eine offene Fehlerkultur ist das konstruktive Geben und Annehmen von Feedback. Was selbstverständlich klingt, ist es in vielen Unternehmen noch lange nicht. Negatives Feedback ist leicht ausgesprochen. Ist der Chef mit der Leistung eines Mitarbeiters nicht zufrieden, geht’s ab zum Rapport. Ehrlich gemeintes Lob ist allzu oft Mangelware. Gute Leistung wird als nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit betrachtet. Doch wer ständig negatives Feedback für seine Fehler erhält, spricht Ideen seltener aus und traut sich nicht, Neues zu probieren.
Viele Mitarbeiter klagen zudem darüber, dass sie von ihren Führungskräften grundsätzlich zu wenig Feedback erhalten. Auch ein generelles Feedbackdefizit führt zu Unsicherheit, verhindert Kreativität und Risikobereitschaft, weil Mitarbeiter die Reaktionen ihres Vorgesetzten einfach nicht einschätzen können. Sie wissen nicht, wie weit sie sich an Grenzen vorwagen dürfen oder wann sie ein "Nein" erwarten können. Regelmäßiges konstruktives Feedback hingegen verdeutlicht sowohl die Arbeitsleistung als auch Erwartungen, Wünsche und Gefühle, die der Chef in bestimmten Situationen hat.
Um in Zukunft erfolgreich zu bleiben, brauchen Unternehmen nicht nur Innovation – sie müssen vielmehr ihre eigenen Strukturen verändern, um sich den immer schneller wandelnden Wirtschaftsbedingungen anzupassen. Unternehmen profitieren also davon, wenn Mitarbeiter ihre Leistung kontinuierlich an veränderte Umstände anpassen können. Den Mitarbeitern Orientierung zu geben, gelingt aber nur durch eine konstruktive Feedbackkultur.
Am besten lernen wir aus vorangegangenen Erfahrungen, wenn wir ein Feedback erhalten und anschließend die Inhalte reflektieren. Organisationen sollten daher sicherstellen, dass Mitarbeiter kontinuierliches Feedback zu ihrer Tätigkeit erhalten. Sie sollten regelmäßig die Ergebnisse ihrer Arbeit erfahren und in Gesprächen mit Vorgesetzten eine zeitnahe Rückmeldung über ihre Arbeitsweise erhalten.
Die meisten Unternehmen wenden bisher traditionelle Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beurteilungen an. Dieses "90-Grad-Feedback" erfolgt in der Regel aus zwei Perspektiven: Die Selbstbeurteilung durch den Mitarbeiter und die Fremdbeurteilung durch den Chef bzw. die direkte Führungskraft. Der Vorgesetzte berücksichtigt dabei im Idealfall die Selbstwahrnehmung des Mitarbeiters. Er hat jedoch – insbesondere was die Leistungsbeurteilung und die damit verbundene Zielerreichung anbelangt – das letzte Wort.
Das 360-Grad-Feedback funktioniert sowohl hinsichtlich des Einholens von Rückmeldungen als auch in Bezug auf die Leistungsbeurteilung anders als das klassische Feedback. Es handelt sich um eine Rundumbetrachtung und -beurteilung von verschiedenen Seiten. Die Einschätzung des direkten Vorgesetzten spielt dabei also nur eine Teilrolle. Leistungen und Kompetenzen des Mitarbeiters werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet – von Menschen, die mit der Person regelmäßig zusammenarbeiten. Zum Beispiel:
Abgerundet wird das 360-Grad-Feedback durch die Selbsteinschätzung des Mitarbeiters. Auch hierbei stehen sich Selbstbild und Fremdbild gegenüber. Aus der gemeinsamen Analyse entsteht zum Abschluss ein Gesamtbild bzw. das 360-Grad-Profil des Mitarbeiters. 360-Grad-Feedback hat den Vorteil, dass die Beurteilung aufgrund der Vielzahl der Stimmen objektiver ausfällt als beim 90-Grad-Feedback. Außerdem lassen sich Talente und Entwicklungspotenziale besser erkennen, was Unternehmen Vorteile für die Zukunft bringt. Andererseits ist der Aufwand nicht zu unterschätzen, und das Verfahren muss von den Mitarbeitern allgemein akzeptiert werden.
Unternehmen, denen der Kreislauf zwischen Feedback, Innovation und Veränderung bewusst ist, versuchen ihre Führungskräfte entsprechend zu schulen. Ob 90- oder 360-Grad-Feedback: Wer die Regeln für angemessenes Feedback nicht beherrscht, kann ungeahnte Widerstände hervorrufen – und setzt schlimmstenfalls gute Beziehungen zu Mitarbeitern, Kollegen oder auch Freunden aufs Spiel. Eine offene Fehlerkultur, ein offenes Ohr für seine Mitarbeiter und der Wille zum lebenslangen Arbeiten an sich selbst sind deshalb die besten Voraussetzungen für zukünftigen Erfolg.
Genauso wichtig wie Feedback richtig zu geben, ist es, angemessen auf Feedback zu reagieren: Akzeptieren Sie die Beobachtungen und Sichtweisen des Anderen und denken Sie in Ruhe darüber nach. Durch eine bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Verhaltensweisen können die rückgemeldeten Informationen besser verarbeitet und umgesetzt werden - davon profitieren Mitarbeitende und Organisationen gleichermaßen.