Im Zuge der Pandemie hat E-Food auch im deutschsprachigen Raum an Fahrt aufgenommen. Am offensichtlichsten zunächst mit Blick auf den Online-Lebensmittelhandel. Was die – im internationalen Vergleich – sehr hohe Filialdichte im LEH und auch die notorische Skepsis insbesondere deutscher Konsumierender gegenüber der Zustellung von Frische-Produkten bislang massiv gebremst hatte, machten die Lockdowns fast über Nacht möglich. Keine andere Branche konnte online solch hohe Wachstumsraten vermelden, wie der Lebensmittelhandel. Ob aus Angst vor Ansteckung oder weil man ohnehin den ganzen Tag zu Hause saß und die Lieferung – anders als früher – stets entgegennehmen konnte, kauften immer mehr Privathaushalte auch Obst, Gemüse und Fleisch online ein.
Konsumierende sind nun nicht mehr nur auf das angewiesen, was sie in ihrem Supermarkt finden. Und der Zugang zu Produkten, die ihren Erwartungen besser entsprechen, wird immer einfacher. Die Digitalisierung bietet ihnen viel mehr Möglichkeiten zu einer nuancierten Wahl – von lokal produzierten Lebensmitteln über besondere Spezialitäten, die bislang von Supermärkten nicht gelistet wurden, bis zu abonnementbasierten Obst- und Gemüsekisten.
Aber es geht bei E-Food um viel mehr als lediglich die Ausweitung des E-Commerce, Online-Shops, digitale Speisekarten oder kontaktloses Bezahlen. Die neuen, immer besseren digitalen Möglichkeiten leiten in allen Food-Branchen einen Strukturwandel ein: Nicht nur im Retail-Geschäft, auch in der Gastronomie, wo die immer mächtiger werdenden Lieferplattformen den Fast-Casual-Markt aufmischen, und in der Lebensmittelproduktion. Es geht um eine – auch durch die Pandemie angeschobene – „neue Konnektivität“, die alte Strukturen aufbricht: Hier Gemüsebauern, die sich zusammenschließen, um direkt (online) vermarkten zu können oder „Versorgungsnetzwerke“ gründen, die es kleinen Betrieben ermöglichen im Verbund als verlässlicher Partner auch für Großküchen agieren zu können; dort Konzerne wie Nestlé oder Unilever, die ihre Markenprodukte immer öfter unter Umgehung des
Dazu kommen Food-Sharing-Netzwerke, in denen sich Konsumierende direkt miteinander verbinden, um Selbstgemachtes auszutauschen, Rezeptdatenbanken, Online-Koch- und -Backkurse sowie Weinverkostungen via Zoom etc. Auch Crowdfunding für Plattformen von Kooperativen und landwirtschaftlichen Produzenten hat starken Zulauf erhalten. Kreative Ansätze wie Online-Tastings und Kochboxen halfen Gastronomen dabei, Kontakt zum Kunden zu halten.
Letztlich geht es bei der Digitalisierung nicht um Technik, sondern um einen kulturellen Wandel, den die Technik nun möglich macht. So paradox dies zunächst erscheinen mag: Jenseits des klassischen Online-Handels der großen Handelsketten oder Online-Pure-Player ist es gerade die Digitalisierung, die die „Nähe zum Produkt“ und zu den Produzenten weiter forcieren wird. E-Food beinhaltet etwa auch die Nutzung von Trackingtechnologien wie Blockchain, um Konsumentinnen die Möglichkeit zu geben, sich transparenter über Lieferketten zu informieren oder auch darüber, wie der Preis eines Lebensmittels zustande kommt.
Schon jetzt wird auf den (neuen) Plattformen landwirtschaftlicher Vertriebsgenossenschaften und zahlreichen, spezialisierten Webshops von Kleinproduzierenden viel umfassender über die angebotenen Waren informiert. Und wo Konsumierende bei der Online-Bestellung von Lebensmitteln auch Informationen zur Qualität, Herkunft und Zucht- und Haltungsbedingungen sowie gute Ratschläge für mögliche Zubereitungsarten (etwa bei weniger bekanntem Gemüse oder für bestimmte Teile eines Rindes) bzw. Rezepte mitgeliefert bekommen (oder auf der Website nachschlagen können), steigt auch die emotionale Bindung an die Produzenten. Kundinnen und Kunden können so auch ein Gefühl der Vertrautheit aufbauen ohne mit den Produzierenden analog in Kontakt zu stehen. Das gelingt durch digitale Unterstützung mitunter sogar besser, als direkt am stationären Point of Sale, wo man sich meist nicht so viel Zeit nimmt, um sich en detail zu informieren oder wo das Verkaufspersonal nicht alle Informationen liefern kann. Dadurch steigt die Zahl an Multiplikatoren, es entstehen zusätzliche Touchpoints zu Unternehmen und die Customer Journey wird differenzierter.
Nur Unternehmen, die sich für authentische Interaktionen mit ihren Kunden öffnen und sie dabei unterstützen, ihren Werten entsprechend einzukaufen, zu kochen und zu essen, werden sie an sich binden können und so zu den Gewinnern im E-Food-Bereich zählen. Die Digitalisierung und die damit einhergehende Konnektivität versetzen Konsumierende immer mehr de facto in die Lage zu echten Akteurinnen und Akteuren auf dem Lebensmittelmarkt zu werden. Immer wieder wird die „Verantwortung“ der Konsumierenden für einen Wandel unseres Ernährungssystems beschworen, aber bislang fehlten weitgehend die „Tools“, die sie dazu tatsächlich ermächtigten. Das wird sich nun ändern: Viele Veränderungen werden von den Konsumenten ausgehen.
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