Die Corona-Krise hat die immensen Potenziale des Radfahrens aufgezeigt, denn während der ÖPNV in vielen Städten brachlag, stieg die Nutzung des Fahrrads enorm – und die urbanen Wachstumsmöglichkeiten sind sehr hoch, wie ein Blick auf den Modal Split verschiedener internationaler Städte verdeutlicht (Ausnahmen: Niederlande und Skandinavien). So hat sich der Anteil des Radverkehrs in Zürich zwar dank der gestiegenen Verfügbarkeit von Pedelecs seit 2010 verdoppelt, liegt aber dennoch erst bei 8 Prozent (während 34 Prozent des nichtmotorisierten Transports auf das Konto der Fußwege gehen). Auch in Wien macht der Radverkehr nur rund 7 Prozent aus. Für einen weiteren Anstieg müssten sich jedoch die Sicherheit des Radfahrens sowie die Infrastrukturen (Abstellmöglichkeiten, öffentliche Luftpumpen, Lademöglichkeiten) deutlich verbessern.
Wo der ÖPNV bereits häufig an Kapazitätsengpässen leidet, Autos im Stau stehen, gibt es noch reichlich Wachstumspotenzial für das Fahrrad. Immer mehr Städte haben das im Zuge der Krise erkannt und in ersten Ansätzen umgesetzt.
Viele der Pop-up-Radwege, die im Kontext der Corona-Krise geschaffen werden, muten zunächst provisorisch an, werden aber perspektivisch in einen dauerhaften Zustand überführt. Berlin hat 20 Kilometer realisiert, Paris plant angesichts der Pandemie sogar 650 Kilometer solcher Radwege, um vor allem die Vorstädte mit der Innenstadt zu verbinden und den langfristigen Umbau des Verkehrssystems zu unterstützen.
Die Liste der Städte im Wandel wird stetig länger und reicht mittlerweile von Medellín über Kampala bis nach New York. In Städten wie Brüssel oder London, die bislang noch keine Fahrradstädte waren, hat die Corona-Krise zur Folge, dass die Fahrradläden nahezu leer gekauft sind. Zugleich lässt das vermehrte Fahrradfahren aber auch die Unfallzahlen steigen, im Raum New York sogar um mehr als 40 Prozent während der Corona-Krise, trotz des deutlich zurückgegangenen Autoverkehrs. 90 Prozent dieser Unfälle resultieren aus der Unaufmerksamkeit und mangelnden Rücksicht von Autofahrern.
Shared Streets kombinieren Radfahren, Zufußgehen, soziale Aktivitäten, Parkplätze und lokalen Autoverkehr, um einen gemeinsamen öffentlichen Raum zu schaffen. Indem die strikte Separierung von Kraftfahrzeugen, Passanten und Radfahrerinnen aufgehoben wird, entsteht ein gemeinsames und lebendiges Straßenbild. In den Niederlanden verfügen nur 20 Prozent des Straßennetzes über eigene Infrastrukturen für Radfahrer, fast alle restlichen Straßen haben Geschwindigkeiten von weniger als 30 km/h – und sind damit geeignet, gemischten Verkehr zu ermöglichen. Shared Streets sind hier schon lange Realität, ebenso wie eine sehr hohe Verkehrssicherheit und eine aktive und gesunde Bevölkerung. Genau aus diesem Grund verändert sich nun, unter dem Einfluss der Corona-Pandemie, die Diskussion um die Nutzung und Aufteilung von Straßen.
In Sachen Pedelecs steigen sowohl das Angebot durch neue Produkte und Konzepte als auch die Nachfrage kontinuierlich. E-Bikes werden günstiger und leichter, die Batterien verfügen über immer größere Reichweiten – und die steigende Nachfrage betrifft schon längst nicht mehr nur ältere Generationen. Städte mit topografischen Herausforderungen, vor allem Steigungen, profitieren dabei besonders stark vom Trend. So geht die Verdoppelung des Fahrradanteils in Zürich vor allem auf das Konto der Pedelecs: 2019 stieg der Absatz von E-Bikes um 19 Prozent – nach einem Rekordplus von 27 Prozent im Jahr 2018. In Deutschland ist inzwischen nahezu jedes dritte verkaufte Fahrrad mit einem Elektromotor ausgestattet.
Die steigende Bedeutung der Elektrifizierung betrifft auch Lasten- und Transportfahrräder: 4 Prozent aller E-Bikes sind mittlerweile Lastenfahrräder – und damit bald dreimal so viel wie Lastenfahrräder ohne E-Antrieb. Da der Umstieg aufs Fahrrad immer mehr Pendlerinnen und Pendler betrifft, wird das Pedelec auch in diesem Segment immer wichtiger. Gerade für diejenigen, die durch die Corona-Krise auf das Fahrrad umgestiegen sind, ist das Pedelec für längere Distanzen prädestiniert, schließlich fahren rund 80 Prozent der Pendler weniger als 25 Kilometer pro Strecke. Umso wichtiger für diese Zielgruppe ist der Trend, dass Dienstwagen zunehmend in Diensträder umgewandelt werden – rund 500.000 Diensträder sind bereits auf deutschen Radwegen unterwegs, Tendenz steigend.
Das Fahrrad hat einen Siegeszug angetreten, der in vielen Städten irreversibel ist. Das gilt auch für Pedelecs. Der Ausbau von Rad- und Fußwegen wird dafür sorgen, dass viele der Fahrräder, die im Kontext der Krise gekauft wurden, auch tatsächlich genutzt werden. Umso wichtiger ist es nun, die Defizite in Sachen Verkehrssicherheit zu verbessern.