Durch die technologische Vernetzung hat das „Wir“ einen großen Schub bekommen, der sämtliche Wir-Konstellationen unaufhaltsam vorantreibt. Mehr Kollaboration ist an vielen Stellen in Wirtschaft und Gesellschaft der Versuch, sich in einer komplexen Welt neu zu organisieren – mit mehr Innovation, mehr Effizienz, mehr Sinn. Auf allen Ebenen wackeln die bewährten Kommando-Strukturen im Angesicht neuer Arbeits- und Communitykonzepte, die den Forderungen einer komplexer werdenden Welt besser gerecht werden können. Es ist an der Zeit zu überprüfen, welche Wir-Formen tatsächlich existieren und bereits Teil unseres Lebens geworden sind: Zeit für eine Inventur des neuen Wir, das unsere Zukunft prägen wird.
Das „Wir“ steht hoch im Kurs. Teilen und „sharen“, tauschen und gemeinsam nutzen, Kollaboration und Gemeinschaft, all das hat Konjunktur. Doch an welchen Stellen unserer Gesellschaft kristallisiert sich welche Form des Wir? Wer profitiert davon und was sind die Motive? Die Neubewertung von Gemeinschaft geht auch an den Unternehmen nicht spurlos vorüber. Crowdfunding und Crowd-Innovation, kollaboratives Lernen und eine demokratisierte Führung machen deutlich, wie das Peer-to-Peer-Prinzip im Unternehmensalltag Fuß fasst. Weitere Anwendungsmöglichkeiten gibt es aber auch in anderen Unternehmensbereichen, zum Beispiel in Form einer zunehmenden Vernetzung im Recruiting.
Die Sache mit dem Wir ist natürlich nicht neu. Historisch gab es schon immer Gemeinschaftskonstrukte und Kooperationsformen in Wirtschaft und Gesellschaft. Was neu ist, ist der Schub, den Wir-Optionen durch die rein technologische Vernetzung bekommen – und die Intensität, mit der wir uns damit beschäftigen. Die Bewertung des Wir-Gedankens der Share Economy oszilliert also zwischen einer Einschätzung als Heilsbringer für eine neue Welt und der Angst vor weiterer Pervertierung des Ökonomischen, das auch noch den letzten Rest (echter) Gemeinschaftlichkeit zerstört. Damit wird auch klar: Die neuen „Wirs“ schließen vielleicht viele ein – aber andere auch aus. Wenn es so viele Wirs gibt, wie es Peer-Groups in einer Gesellschaft der Individualisten gibt, ist die naheliegende nächste Frage, wie es weitergehen kann mit dem großen „Wir“. Aus unterschiedlichsten Disziplinen kommen derzeit wissenschaftliche Ansätze, die sich genau mit der Frage beschäftigen, was die Menschen antreibt, Gemeinschaften zu bilden. Zu den Aha-Erlebnissen der letzten Jahre gehört, dass Kooperation ein zutiefst menschlicher Zug ist – und Ratio nicht alles. Und das Beste: Unter geeigneten Bedingungen können Menschen ihr Wir-Potenzial als soziale Wesen entfalten. Selbst im Business. Denn Kooperation scheint ein natürliches menschliches Verhalten zu sein. Oder wie es der Hirnforscher Manfred Spitzer bei einem Vortrag über soziale Neurowissenschaften beim Symposium „turmdersinne“ formulierte: „Dass die Menschen besser als ihr Ruf zu sein scheinen ist nur eine der wichtigen neuen Erkenntnisse, die es in unser Menschenbild und unsere Institutionen einzugliedern gilt.“ Die Weiterentwicklung unserer Weltbildes ist also wichtige Basisarbeit.