Während ich diese Zeilen schreibe, überlege ich, ein neues Unternehmen zu starten. Und denke aus theoretischer und praktischer Sicht ans Scheitern. Nicht dass mir dies noch nicht passiert wäre: Ich hatte ein Startup, das mir die Hälfte meines Wohlstands nahm, und ich habe ein Unternehmen, das den anderen Teil konsumierte – und vielleicht keinen Ertrag zurückzahlt. Warum also wieder das Risiko des möglichen Scheiterns eingehen?
Schaut man sich die populäre Literatur an, ist es einfach: Viele erfolgreiche Menschen mussten scheitern, bis sie ihre beruflichen Ziele erreichten. Hätte Howard Schultz nach 244 Absagen von Banken aufgegeben, gäbe es heute kein Starbucks. Walt Disney, der schon in der Schule Probleme wegen mangelnder Kreativität hatte und deshalb auch im ersten Job entlassen wurde, erhielt 302 Neins, bevor jemand Ja zur Finanzierung des Disneylands sagte. Colonel Sanders, Gründer und Logo-Figur von Kentucky Fried Chicken, musste sogar 1009 Mal scheitern, bis jemand sein Fast-Food-Konzept fördernswert fand. Um den Rekord in Sachen Scheitern kämpfen illustre Köpfe wie James Dyson, der behauptet, 5216 Prototypen gebaut zu haben, bis sein Vakuum-Staubsauger funktionierte. Oder Thomas Alva Edison, der immer stolz verkündete, 6.000 Wege gefunden zu haben, wie eine Glühbirne nicht funktioniert (andere Quellen sprechen gar von 10.000).
Scheitern gehört nach diesen (erfolgreichen) Geschichten zum Lernkonzept. Und tatsächlich ist es so, dass erfolgreiche Menschen wahrscheinlich nur durch Scheitern lernen können – denn erfolgreiche Menschen waren oft vorher schon erfolgreich. Man denke nur an die Geschichte von Steve Jobs, der schon im Alter von 30 Jahren Apple an die Börse brachte, mehrfacher Milliardär war – und dann mit der Macintosh-Strategie grandios daneben lag. Und noch einmal mit dem Next Computer – einem Unternehmen, bei dem ich mich damals um die Vertretungsrechte bemühte. Und sie auch erhielt. Wir verkauften weniger als eine Handvoll dieser teuren Geräte (der heutige Preis läge bei über 10.000 Euro), und niemand hatte mit Next einen Ertrag.
Der Erfolg in der Vergangenheit ist offensichtlich keine Sicherheit für Erfolg in der Zukunft. Erfolg im Sinne von Wachstum, Erreichen von hochgesteckten Zielen oder der Erfüllung von Erwartungen (Investoren, Geschäftspläne) kommt in Zukunft immer mehr von Innovationen, speziell im Bereich neuer Geschäftsmodelle. Diese hat aber noch niemand vorher getestet, es gibt keinerlei Erfahrungswerte. Deshalb müssen Innovatoren diese Geschäftsmodelle ausprobieren – und mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern. Denn innovative Geschäftsmodelle funktionieren nicht im ersten Anlauf, oft auch nicht im zweiten, manchmal nie. Paypal-Mitgründer Max Levchin brachte dies einmal auf den Punkt: "Das erste Unternehmen, das ich gegründet habe, ist mit einem großen Knall gescheitert. Das zweite ein bisschen weniger schlimm, das dritte ist wieder anständig gescheitert. Das vierte Unternehmen überlebte bereits. Das fünfte war dann PayPal."
Menschen, die als Erste neue Wege gehen, können sich nur auf sich selbst verlassen. Niemand hat bislang ihren Weg beschritten. Deshalb müssen sie probieren und nach neuen Lösungen suchen. Es wäre vermessen anzunehmen, dass diese Wege immer direkt zum Ziel führen oder die angestrebte Lösung ermöglichen. Dies aber als Scheitern zu bezeichnen, ist schlichtweg falsch: Es sind Lernerfahrungen und Ergebnisse von Experimenten. Wirklich scheitert nur derjenige, der es erst gar nicht versucht. Der Experimentleiter lernt hinzu, er wird immer klüger und findet die Prototypen, die nicht funktionieren – bis hoffentlich irgendwann einmal die richtige Lösung auftaucht.
Es wird gern behauptet, dass eine solche Form des Lernen aus dem Trial-and-Error-Prozess in Europa nicht möglich bzw. gesellschaftlich nicht akzeptiert sei. Ich halte hier das Gegenargument, dass nahezu alle Unternehmensgründer, die ich persönlich kenne, einmal in dieser Form gescheitert sind. Man muss sich einmal die Problemjahre von Ikea oder Bertelsmann ansehen, auch Playmobil oder Beate Uhse sind gute Beispiele. Alle diese Unternehmen haben es auch in Europa geschafft. Was wir wieder benötigen, sind mutige, erfolgreiche Menschen, die Scheitern als Lebensweg und Lernerfahrung akzeptieren. Dazu müssen wir Räume und Gelegenheiten bieten, Labore und Startup-Umfelder, die solche Lernkulturen in nicht-sanktionierten Umfeldern ermöglichen und die Personen, die diese Risiken eingehen, nicht stigmatisieren.
Die Forderung nach Laboren, Experimentierumgebungen und Testfeldern gilt aber vor allem für die etablierten Unternehmen, die sich heute erfolgreich nennen. Die Hidden Champions, die Weltmarktführer und die Unternehmen, die auf einer guten Tradition beruhen. Diese Erfolgsunternehmen und ihre erfolgreichen Mitarbeiter dürfen nicht aufhören, mit neuen Ideen zu scheitern. Sie müssen den Mut haben, unbequeme Lösungen auszuprobieren und gemeinsam ihre Lernerfahrungen zu teilen. Nur so können sie im Wettbewerb mit jungen Unternehmen, Kopisten aus Ländern mit geringeren Arbeitskosten und digitalen Herausforderern bestehen. Nichts zu tun oder das Alte einfach günstiger zu produzieren, kann keine langfristige und nachhaltige Lösung sein.
Deshalb: Lasst uns voranschreiten, neue Wege gehen und lernen! Die Erfolgsformel ist ein iterativer Prozess: Erfolg – Scheitern – Lernen – Erfolg – Scheitern – Lernen. Genießt die Irrwege und Sackgassen: Sie helfen uns weiter.
Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Xing-Spielraum.