Local Food, die Präferenz für regionale Lebensmittel und – damit oft einhergehend – für regionaltypische, also traditionelle Zubereitungsarten, ist seit vielen Jahren ein dominanter Trend. Als Reaktion auf die zunehmende Globalisierung und Industrialisierung unserer Nahrung speist er sich aus der Sehnsucht vieler Konsumenten nach Vertrautheit, Natürlichkeit, Authentizität und Sicherheit. Produkte aus regionaler Herkunft, die eng mit dem „Terroir“ und den Menschen, die sie herstellen, verbunden sind, versprechen Orientierung in der unübersichtlichen Vielfalt, die die Globalisierung auch der Esskulturen mit sich brachte. Der Konsum regional und lokal erzeugter Lebensmittel wird nicht zuletzt als Beitrag zum Klimaschutz, zur Regionalentwicklung und zur Förderung der Landwirtschaft vor Ort betrachtet.
Der Trend spiegelt sich in der zunehmenden Attraktivität von Erzeugermärkten, wird sowohl von Slow-Food- und Bio-Pionieren als auch von Gourmets getragen und hat vor allem in der Gastronomie nachhaltige Spuren hinterlassen.
Der immer intensivere Blick auf die unmittelbare Umgebung geht aber auch weit über die Landwirtschaft hinaus. Das neu entfachte Interesse an Wild Food, an unkultivierten, endemischen Pflanzen, Pilzen und Tieren, ist eine weitere Folge des Hyper-Local-Trends. René Redzepis Hang zum Entdecken und Experimentieren erschloss beispielsweise die nordische Flora und Fauna für den kulinarischen Gaumen. Der dänische Koch brachte Moltebeeren, Moschusochsen, Rentier und Scheidenmuscheln auf die Speisekarte, schaffte Neuentdeckungen und Grenzerfahrungen wie eine „essbare Erde“ aus Malz, Nüssen und Bier.
Das neue Interesse an Eigenarten und Besonderheiten der essbaren Flora und Fauna beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Skandinavien und die New Nordic Cuisine, die den Trend popularisierte. Auch im deutschsprachigen Raum boomen Kochbücher und Kochsendungen, die sich – von Löwenzahn bis Brennnessel, Und wenn im Frühling die Welt wieder grüner wird, soll es auch das Menü werden von Adlerfarn bis Hopfensprossen – explizit den „wilden“ Genüssen vor unserer Haustür widmen. Auf den Speisekarten von Restaurants stehen immer mehr Gerichte, die sich auch der essbaren Vielfalt aus Wald und Flur bedienen.
Heinz Reitbauer vom Wiener Restaurant Steirereck serviert „Wilde Tannenzapfen“, eine in Blätterteig eingeschlagene Wildfarce, die auf einem Tablett voller Zapfen arrangiert wird. Österreichs jüngster Dreihaubenkoch Harald Irka experimentiert mit Broten aus Birkenrinden- und Bucheckernmehl. Die Trumer Privatbrauerei braut in Kooperation mit den Bundesforsten ein Waldbier aus Fichtenharz. Umgekehrt experimentieren neugierige Produzenten aber auch mit dem Anbau nichtindigener Pflanzen, um zu testen, ob und wie sich andere Klima- und Bodenverhältnisse auf ihren Geschmack auswirken können.
Radikal weitergedacht führt das letztlich zu einer neuen Menüphilosophie, wie sie etwa Dan Barber schon in seinem Buch „The Third Plate – Field Notes on the Future of Food“ (2016) angedacht hat und wie sie im neuen Noma umgesetzt werden soll. Wir haben uns, so die Überzeugung von René Redzepi, bislang zu sehr ins Korsett der klassischen Menüfolge zwingen lassen. Von kleinen Häppchen zu Beginn über die Fleisch- und Fischportionen in der Mitte bis zum süßen Dessert am Ende. Davon möchte er sich nun endgültig befreien und seine Menüs in Zukunft allein am saisonalen und „brutal lokalen“ Angebot orientieren. Im Herbst wird das Menü ausschließlich aus „wilden“ Ausgangsprodukten komponiert, aus Wildbret, Pilzen, Beeren, Moosen. Im Winter, wenn die Bäuche der Fische mit Rogen gefüllt sind, soll das Noma zum Seafood-Restaurant werden. Und wenn im Frühling die Welt wieder grüner wird, soll es auch das Menü werden – und das Noma zum vegetarischen Restaurant.
Brutal Lokal ist die konsequente Fortsetzung von Local Food und zugleich die praktische Kritik an touristisch verwässerten Regionalitätskonzepten, die oft genug nur auf „Regional-Washing“ hinauslaufen. Brutal Lokal zielt auf exzeptionelle Qualität, auf das Besondere und Exklusive, auf Alleinstellungsmerkmale und auf das Exotische, das nicht aus fernen Ländern importiert wird, sondern vor Ort in Wald und Flur zu finden oder in Gärten zu züchten ist. Es geht um das Heben und Wiederentdecken biologischer Schätze, alter Sorten und Rassen, und – vor allem – um ein völlig neues Verständnis von Saisonalität, demzufolge nicht mehr die Menükonzepte darüber entscheiden, was wir kochen, sondern umgekehrt: Vor allem in der gehobenen Gastronomie wird in Zukunft in erster Linie das gekocht, was die Natur gerade eben zu bieten hat.
Bildrechte: Flickr / Wolfgang Stief / Samenbank / CC-BY 2.0