Die treibenden Kräfte hinter der blauen Transition
Wandel und Neues entstehen durch menschliches Handeln – das durch starke Motive aktiviert wird. Das gilt besonders für jenes Handeln, das den Status quo überwinden will: Es braucht Zukunftsbilder, die sich lohnen, ein Wozu. Umso ernüchternder ist der Blick auf die aktuelle Diskurslage, die einen Tunnelblick der Negativität schafft: Hochdekorierte Ökonomen und Ökonominnen zeichnen Bilder von düsteren Energiezeiten, Medien erhitzen eine Stimmung der Angst und Frustration. Die dazugehörigen Stichworte sind allen bekannt: Inflation, fehlendes Wachstum, drastische Preisanstiege, nachhaltige Energiekrise.
Die Folge dieser gereizten Stimmung ist ein zunehmend ideologisch aufgeladener Wettlauf um die Weltdeutung. Das Wozu vernebelt sich. Klimaaktivisten gegen Wohlstandsbewahrerinnen – oder doch Klimabewahrer gegen Wohlstandsaktivistinnen? So richtig eindeutig ist das nicht. Fest steht aber: Die Lager sind überzeugt, etwas tun zu müssen, ein „Weiter so“ scheint ausgeschlossen. Und der Kampf um das richtige Wozu ist eine Diskussion über die Deutungshoheit: Werterhaltung versus Welterhaltung. Die Wahrheit, so scheint es, ist nur auf einer Seite zu finden.
Die Suche nach Wahrheit überwinden
Genau hier liegt jedoch der Trugschluss. Schon der Kybernetik-Pionier Heinz von Foerster postulierte frech: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“ – ein subjektives Konstrukt. So wie unsere Vorstellungen von richtig und falsch, von gut und böse nur mentale Abbilder sind, geprägt durch Erfahrung und Sozialisation. Eine objektive Weltwahrheit existiert nicht. Wir bewegen uns in subjektiv geprägten Wahrheiten, gestaltet aus Narrativen und Fakteninterpretationen.
Diese Einsicht ist nicht neu. Und dennoch: Im Übergang zur blauen Ökonomie gilt es, diesen Wahrheitsnebel zu lichten. Je mehr sich „richtige Ideen“ ideologisch manifestieren, desto dramatischer verschwinden Zukunftsräume. Die Einengung, Verhärtung und Beharrung auf die eine – die „richtige“ – Zukunft verdrängt konstruktive Lösungen. Großen Transformationen gehen daher Transformationen im Denken voraus. Das Umdenken, ein Mindshift, ist die Voraussetzung für Zukunftssprünge.
Dieses Umdenken, so haben wir mittlerweile verstanden, kann nur aus dem Innen eines Systems erzeugt werden. Und im Innen von Systemen – seien es Familien, Unternehmen, Netzwerke oder die Gesellschaft – sind wir Menschen die Akteure des Wandels. Das ist die wirklich gute Nachricht: Zukunft wird von Menschen gemacht. Nicht von Technologie, einer abstrakten Politik oder Unternehmen. Allerdings sind die Bedürfnisse und Fokusfelder von Menschen extrem unterschiedlich. Menschen sind divers, in ihren Haltungen, ihren Lebensstilen und auch im Hinblick auf die Trends, denen sie folgen. Menschheit ist Vielfalt – und Zukunft entsteht dort, wo die Extrempole sich nicht aktiv gegen die Vielfalt stellen. Wo eine Idee nicht als „einzige Wahrheit“ aufgedrückt wird, sondern sich entfalten und erproben kann.
Zukunft bedeutet deshalb, Potenzialen Raum zu geben, auch wenn sie nicht in ein vorgefertigtes Schema passen. Mono-Perspektivität ist ein Verhinderer gelingender Transformationsprozesse. Lassen wir uns also nicht zu sehr hinreißen von unseren Ideen über die „richtige Welt“. Bleiben wir offen, frei und bunt. Es geht um Menschen und Vielfalt, um diverse Bedürfnisse und Vorstellungen – die eine essenzielle Basis für konstruktive Zukunftsentwicklungen bilden.
Jede Zukunftsentwicklung ist ein Emergenz-Phänomen: Sie entsteht durch das Auftauchen von höheren und komplexen Eigenschaften, in Schüben und Verbindungen scheinbarer Widersprüche. Genau deshalb beginnt die Zukunft mit einem Umdenken: Vielfalt statt Einfalt, pragmatische Entscheidungen statt ideologische Wahrheiten. Zumindest dann, wenn eine Veränderung erfolgreich werden soll. Dies gilt umso mehr in der vielleicht wichtigsten Frage unserer Zeit: Wie kann die Klimawende gelingen?
Neo-Ökologie als roter Denkfaden
Mit dem Megatrend Neo-Ökologie identifizierte das Zukunftsinstitut schon vor vielen Jahren die Relevanz eines neuen ökologischen Denkens innerhalb der Wirtschaft. Der Begriff der Nachhaltigkeit greift hier nicht weit genug, weil er meist dazu genutzt wird, um Standards, Konformität und Einhaltung von Gesetzen zu sichern. Neo-Ökologie meint dagegen, die Ökologie als neuen Wirtschaftssektor zu verstehen und zu entwickeln: Es geht nicht um Ökonomie gegen Ökologie, vielmehr verbindet sich ein Ja zum Wohlstand mit einem Ja zur ökologischen Innovation, zur Exzellenz, zum bewussten Erschaffen des Next Level. Es geht um Zukunftssprünge über das Bestehende hinaus statt um Normen und Pflichterfüllung.
Genau hier setzt die blaue Revolution an – die auf einer Vielzahl kleinerer Übergänge beruht. Übergänge deshalb, weil kein „Endziel“ existiert. Ziele, auch ökologische, können eine grobe Richtung vorgeben, aber sie sind reine Konstrukte. Wie viele Ziele sind in letzter Zeit gescheitert? Krieg, Krankheit und Katastrophen sind die 3 K-Dimensionen der Ziel-Erosion.
Das, was in Jahren erreicht werden soll, kann nicht als final und unverhandelbar angesehen werden. Ziele sind fluide – so wie auch die Welt fluide ist. Deshalb ist es wirksamer, in Übergängen zu denken, Veränderungen als Konstante einfließen zu lassen, Lernen und Entwicklung als normal zu akzeptieren. Wandel ist Zukunft. Und Zukunft gestaltet sich aus der Verschiedenheit menschlicher Bedürfnisse, aus Dynamik und Veränderungen. Sie vollzieht sich Stück für Stück.
Zukunft ist aktive Handlung
Rücken wir den Menschen ins Zentrum der Zukunftsentwicklung, wird klar, dass Zukunft vor allem Handlung ist. Und um menschliche Handlungen zu „aktivieren“, benötigt es wirksame Motive – Anregungen, um den Status quo zu verlassen. Fragen wir in diesem Kontext nach dem Warum, können wir die Vergangenheit, die Historie, für ein Motiv entdecken. Antworten auf dieses Warum erklären, woher wir kommen. Die Frage nach dem Wozu zielt dagegen auf die Zukunft: Wozu soll die Veränderung stattfinden? Wozu bringen wir Kraft auf und geben Energie? Wozu motivieren wir uns?
Die Relevanz der Vielfalt macht ersichtlich, dass die blaue Revolution nicht allein durch die Formulierung eines Narrativs („Wir müssen X erreichen“) gelingen kann. Zugleich ist es aber auch nicht möglich, alle unterschiedlichen Stimmen gleichermaßen wahrzunehmen und zu adressieren. Allerdings ist es möglich, in der Vielfalt der menschlichen Akteure Muster zu erkennen, denn allen Unterscheidungen zum Trotz existieren Gemeinsamkeiten im Warum und Wozu. Auf dieser Basis lässt sich eine Motivtypologie entwickeln für passende Ansprachen und wirksame Maßnahmen, die ein Gelingen der blauen Transition wahrscheinlicher machen. Konkret sind sechs verschiedene Motivtypen identifizierbar, die den Diskurs zur Klimawende bereits prägen – und künftig aktiv einbezogen werden können. Je stärker wir dabei auf das Wozu eingehen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit des Gelingens.
5 Klima-Motivtypen für den gelingenden Wandel
Die in der Gesellschaft erkennbaren Muster lassen sich typologisch erfassen: Wir können beschreiben, welche Motivlagen sich parallel im Wettbewerb öffentlicher Debatten befinden. Die folgenden 5 Klima-Motivtypen repräsentieren jeweils eine zentrale Frage, die auf ihren Richtungssinn rückschließen lässt. Die Typologie entschlüsselt, wie sich aus dem vergangenheitsbezogenen Warum ein zukunftsgerichtetes Wozu ergibt – das sich entsprechend adressieren lässt.
Für den Typus der Familienglücklichen spricht Hannah Sorte. Ihr gegenwärtiger Fokus (das vergangenheitsbezogene Warum) liegt in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die Zukunft fragt sie sich deshalb: „Was macht meine Familie glücklich?“ Bei den Slowtransformern, deren Gegenwart durch Gewohnheit geprägt ist, sagt Lisa Huber: „Mir geht es um Stabilität im Leben, das ist meine Zukunft!“ Ein guter Teil der vorherrschenden Dysbalance resultiert aus der Dynamik, die durch neue Technologien verursacht wird. Für die Gameworker ist das aber kein Stress, im Gegenteil: Technologie ist mit allem vereinbar. Adim Salah meint deshalb für die Zukunft: „Was hält uns auf, endlich einen real-digitalen Alltag zu leben?“ Weniger technologieaffin ist Marlene Gutleut. Für den Typus der Ökohedonistin fordert sie provokant: „Geht’s noch? Wir brauchen eine ökobewusste Welt!“ Scheinbar im Widerspruch dazu steht der Typus des Wirtschaftsperformers, der heute ein freiheitsliebender Einzelkämpfer ist. Basti Aldringen treibt vor allem die Frage um: „Wie können Leistungsträger bei all diesen Entwicklungen motiviert werden?“
Dieser kleine Ausflug in typologische Denkmuster zeigt die 5 herrschenden Motivlagen in der Gesellschaft. Teilweise scheinen sie in krassem Widerspruch zu stehen – Wirtschaft versus Ökologie, Balance versus Veränderung, Glück versus Technologie. Einen echten Wandel werden wir aber nur dann erfolgreich gestalten können, wenn gegensätzliche Positionen zusammen an den Lösungen arbeiten.
Dabei geht es nicht um verwaschene Kompromisse, sondern um die aktive Beteiligung aller Menschen. Denn die Grunddisziplin der Vielfalt ist nicht die Diskussion, sondern der Dialog: In Dialogen geht es um das Erkennen von Verbindendem statt um das Hervorheben von Trennendem.
Zukunft ist die Konnektivität diverser, unterschiedlicher Strömungen und Player. Aus scheinbar widersprüchlichen Fragestellungen entwickeln sich dabei neue Plateaus der Einsicht. Verharren wir dagegen in einer fixen Motivlage, stecken wir im „Wahrheits-Silo“ fest. Die Herausforderungen, vor die uns die Klimakrise stellt, werden wir deshalb nicht lösen können, wenn wir gegeneinander arbeiten. Im Gegenteil: Je weiter starre Positionen verhärten, umso mehr Zeit verlieren wir. Gehen wir also aufeinander zu und gestalten eine Zukunft, in der sich alle Motive wiederfinden – eine gelingende Zukunft für alle!