Der Megatrend Wissenskultur beschreibt, wie sich Bildung im Zeitalter der Wissensexplosion verändert. Bildung wird digitalisiert, sie findet über neue Kanäle statt. Gelernt wird nicht mehr nur in Schulen. Durch diese Entwicklung wird Bildung auch immer mehr zur Privatsache. Sie wird individualisiert und ent-institutionalisiert, sogar innerhalb der Institutionen.
Es gibt immer mehr Wissen auf der Welt. Die Menge der Informationen auf diesem Planeten wächst schneller, als es sich die Menschen, die beispielsweise zur Zeit der Renaissance lebten, je hätten vorstellen können. Damals, im 16. und 17. Jahrhundert, gab es noch „Universalgelehrte“, die einfach alles wussten, was man wissen sollte. Jeder heute lebende Intellektuelle hingegen weiß, dass es vollkommen sinnlos ist, dieses Ziel anzustreben. Denn: Es gibt einfach zu viel Wissen. Eine Studie, die den weltweiten Speicherplatz und die gesamte Rechenkapazität der Menschheit zwischen 1986 und 2007 zu erfassen suchte, kam auf eine jährliche Wachstumsrate der Rechenpower von 58 Prozent. Zu dieser Zeit konnten auf der Welt 2,9-mal 10 hoch 20 Bits Informationen dauerhaft gespeichert werden.
Zudem veraltet das Wissen schneller. Besonders in technischen Berufen, zumal wenn sie mit Computern zu tun haben, nützt es nichts, mit 20 Jahren eine Ausbildung abzuschließen und sich mit 30 oder 40 noch auf das erworbene Wissen zu berufen. Die Ausbildung ist keine Die Ausbildung ist keine Aus-Bildung mehr, denn Bildung ist nie mehr „aus“ Aus-Bildung mehr, denn Bildung ist nie mehr „aus“. Der rasante Zuwachs an neuen Informationen macht es erforderlich, sich immer wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Bei einer Befragung von 2010 gaben über vier Fünftel der weiterbildenden Betriebe an, die Anpassung der fachlichen Kenntnisse an veränderte Arbeitsabläufe sehr wichtig zu finden, bei Handels- und Reparaturbetrieben waren es über 90 Prozent. Dieses Ziel steht damit an erster Stelle der beruflichen Weiterbildung.
Die gute Nachricht ist: Das Wissen wird mehr und veraltet schneller, aber es ist auch leichter zu finden. Statt ausschließlich in teuren Büchern, Schulen und Kursen ist ein großer Teil davon digital gespeichert und kostenlos über das Internet zugänglich geworden. 2011 nutzten 35 Prozent der Weltbevölkerung das Internet. Fünf Jahre zuvor waren es erst 18 Prozent. 72 Prozent der 2010 befragten europäischen Internetnutzer gaben an, dass das Internet ihre Möglichkeiten zu lernen verbessert habe.4 Auch die Oberflächen der Systeme, mit denen das Wissen verwaltet, gemanagt und aufbereitet wird, werden immer benutzerfreundlicher: Self-Tracking und Gamification halten Einzug in digitale Bildungsangebote.
In einem Wirtschaftssystem, in dem es so viel Wissen gibt, verändert sich die Art, wie Wert geschaffen wird. Die massenhafte Produktion physischer Güter wird immer mehr als Commodity, also als gegeben angenommen – auch wenn das nicht stimmt, wie jüngste Themen der Weltwirtschaft zeigen. Sie wird überlagert, denn statt ihrer wird „Wissensarbeit“ immer wichtiger. Dieser Wandel beschränkt sich nicht nur auf die westlichen Länder: Der Megatrend Neues Lernen entwickelt sich global vor der Folie des Wandels der Weltwirtschaft von einer Industrie- zu einer Wissensökonomie.
Das stellt auch Wirtschaftwissenschaftler vor neue Herausforderungen, denn sie müssen Methoden entwickeln, mit denen man Wissen statt Waren messen kann. Volkswirtschaftler vom Massachusetts Institute of Technology und der Universität Harvard haben einen neuen Ansatz entwickelt, um statt des materiellen Wertes der exportierten Güter eines Landes das dafür nötige Know-how zu messen. In dem weltweiten Ranking dieses „Economic Complexity Index“, der wirtschaftlich relevantes Wissen misst, belegt Deutschland Platz 2 hinter Japan.
Die Wissensgesellschaft stellt andere Ansprüche an die Bildung von Personen. Musste in der Industriegesellschaft der Mensch noch gleichsam an die Maschine angepasst werden, werden in der Wissensgesellschaft diejenigen gewinnen, die die Maschine an sich anpassen können. Pünktlichkeit, Fleiß, Gehorsam Ein „Universalgelehrter“ ist heute nicht mehr jemand, der alles weiß, sondern jemand, der mit Wissen und Nichtwissen souverän umgehen kann und Pflichtbewusstsein: Das waren die Werte, die den Kindern im 20. Jahrhundert in der Schule vermittelt wurden. Diese Fähigkeiten von Arbeitnehmern ermöglichten es der Industriegesellschaft, ihre Bänder niemals stillstehen zu lassen. Inhalte waren standardisiert und veralteten langsam; Lehrbücher wurden selten erneuert. War die Ausbildung einmal abgeschlossen, konnte der Mensch in demselben Beruf arbeiten bis zum Ruhestand. Sein persönlicher Wissensschatz hatte Bestand.
In der Wissensgesellschaft hingegen sind andere Fähigkeiten gefragt. Unsere Maschinen sind intelligent geworden: Anstatt bloß Dinge herzustellen, beantworten sie Fragen. Gebraucht werden jetzt Menschen, die die richtigen Fragen stellen, also die Maschine an die entsprechenden Bedürfnisse anpassen können. Ein „Universalgelehrter“ ist heute also nicht mehr jemand, der alles weiß, sondern jemand, der mit Wissen und Nichtwissen souverän umgehen kann. Zwei Skills sind dafür elementar wichtig: Kreativität und die Fähigkeit, Kontexte herzustellen.
Wissensarbeit wird „semantisch“ insofern, als es immer wichtiger wird, die Bedeutung von Dingen zu kennen, also zu wissen, wie Informationen miteinander verknüpft sind. Dieses „Kontextwissen“ versuchen Informatiker Computern beizubringen, indem sie zum Beispiel Begriffe wie „Pferd“ und „Tier“ auf der Informationsebene miteinander verbinden. Indem sie derartige Beziehungen herstellen können („Ein Pferd ist immer ein Tier, aber nicht alle Tiere sind Pferde“...), können Computer immer besser auf Fragen antworten, die ihnen von Menschen gestellt werden. Doch so schlau unsere Maschinen auch geworden sind: Was die semantische Wissensarbeit angeht, sind Menschen Computern immer noch weit überlegen. Denn mit einem Begriff wie „Pferd“ verbinden Menschen nicht nur abstrakte Kategorien (wie „Tier“), sondern auch intuitive Assoziationen, die auf eigene Erfahrungen zurückgehen („reiten“ oder einen bestimmten Geruch, einen Tritt mit dem Huf oder den Trick der Hellenen in Troja). Solche Bedeutungen können Maschinen nicht nachvollziehen. Ihnen fehlt die Erfahrungsebene.
Die zweite Fähigkeit, die in einer digitalisierten Ökonomie unersetzlich ist, ist Kreativität. Kreativität bedeutet spontane Problemlösungskompetenz, also die Fähigkeit, mit Situationen umzugehen, die in dieser Form zum ersten Mal auftreten. Im Gegensatz zu Menschen sind Computer programmiert; das heißt, sie können eigentlich nur mit Situationen umgehen, auf die der Programmierer sie vorbereitet hat. Menschen sind nicht programmierbar, und in einer unberechenbaren Welt sind ihre originellen Ideen gefragter denn je. Diese Ideen nehmen einen immer größeren Teil der Wertschöpfung einer Volkswirtschaft ein. Bildung bedeutet in der Kreativ-Ökonomie also immer auch die Förderung individueller Talente.
Ablesen lässt sich diese Entwicklung an den Wirtschaftsbereichen, in denen die Menschen tätig sind. Legt man der Agrar-, Industrie- und Wissensökonomie jeweils die Beschäftigung in den Bereichen Landwirtschaft, produzierendes Gewerbe und Dienstleistung zugrunde, ist der Trend klar zu erkennen: In Deutschland sank zwischen 2000 und 2010 die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft um knapp ein Drittel. Im produzierenden Gewerbe arbeiteten im Jahr 2000 noch zwölf Millionen Deutsche; zehn Jahre später war es eine Million weniger. 2011 sank die Zahl der Beschäftigten in der Industrie noch einmal auf rund acht Millionen. Im selben Jahr arbeiteten bereits 28 Millionen Menschen als „Wissensarbeiter“ im Dienstleistungssektor. Im Jahr 2000 waren es noch rund 24 Millionen gewesen.
Wenn dieser Trend sich fortsetzt, werden wir in Zukunft in einer Wissensgesellschaft leben. Das bedeutet auch, dass „Lernen“ nicht mehr „Auswendiglernen“ von Wissen sein wird, sondern Kompetenzerwerb. In sogenannten „atypischen Beschäftigungsverhältnissen“ tritt an die Stelle von „wissen, dass“ das Know-how, das „wissen, wie“.
Insgesamt gab es 2009 1,8 Millionen mehr atypisch Beschäftigte als noch 1999 (5,8 Millionen). Entsprechend ist der Anteil von Personen in einem Normalbeschäftigungsverhältnis (71,5 Prozent) um 5,1 Prozentpunkte gefallen. 2011 standen fast acht Millionen atypisch Beschäftigte in Deutschland rund 24 Millionen sogenannten „Normalarbeitnehmern“ gegenüber. Und weil die klassische dreiteilige Biografie der Industriegesellschaft (Ausbildung Die Bildungsgewinner von morgen kommen auch in völlig neuen Situationen zurecht, indem sie sich evolutionär an die neuen Umstände anpassen – Erwerbsleben – Ruhestand) immer mehr zur Ausnahme wird, wird es wichtiger, mit unvorhergesehenen Situationen umgehen zu können. Dafür braucht die Workforce der Zukunft Kreativität, also Ideen. Sie braucht aber auch Resilienz, das heißt Widerstandsfähigkeit gegen Rückschläge. Diese Widerstandsfähigkeit entsteht aus Flexibilität und Adaptivität: Die Bildungsgewinner von morgen kommen auch in völlig neuen Situationen zurecht, indem sie sich evolutionär an die neuen Umstände anpassen. Studien, die die junge Generation von heute als „Opportunisten“ diskreditieren, fällen ein moralisches Urteil über eine Fähigkeit, die Jugendliche bewusst trainieren – auf eine Welt hin, in der Resilienz gefragt sein wird.
Und die beste Voraussetzung, die ihnen ein Bildungssystem dafür geben kann, ist eine ganzheitlich gebildete Persönlichkeit. Die Schule der Zukunft vermittelt ihren Schülern Selbstwirksamkeitserfahrungen, die ihnen helfen, auch unter schwierigen Umständen optimistisch zu bleiben. Kreativität und ganzheitliche Persönlichkeit sind die Ziele des Humboldt’schen Bildungsideals, das im Zuge des Megatrends Neues Lernen ein Revival erfährt – wie sich in Deutschland etwa an dem Run auf das Gymnasium erkennen lässt: 2011 hatten insgesamt 27 Prozent der Deutschen Abitur, bei den 20- bis 29-Jährigen waren es 43 Prozent.
Auf dem heutigen Arbeitsmarkt treten Menschen durchaus in Konkurrenz zu Maschinen. Ganze Berufszweige sind durch den Einsatz von Computern ausgestorben, aber auch neue entstanden. So standen die Fächer Informatik und Wirtschaftsinformatik 2012 auf Platz drei bzw. eins in einem deutschlandweiten Ranking der Studienfächer mit den besten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.12 Wer Kinder in der Schule auf die Welt von morgen vorbereiten will, muss sich fragen, welche Fähigkeiten er fördern kann, die nicht von Maschinen ersetzbar sind, sondern Menschen helfen, die richtigen Fragen zu stellen. In der Förderung ihres „Unique Selling Points“ finden Schüler ihre Pole Position in der Kreativ-Ökonomie von morgen.
Neben der „semantischen“ Wissensarbeit und der situativen Problemlösungskompetenz durch Kreativität und persönliche Resilienz sind das sicherlich auch soziale Fähigkeiten. Besonders vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft (vgl. Megatrend „Silver Society“) und der entsprechenden Nachfrage nach Gesundheitsexperten und Pflegefachkräften tut sich hier ein gewaltiger Markt auf. Auch die Fähigkeit zur Empathie, also des geistigen Sich-Hineinversetzens in einen anderen Menschen, ist ein Skill, das auch auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft nicht durch Automatisierungsprozesse ersetzt werden kann. Dadurch steigt es im Wert – und wird zu einem wirtschaftlich lohnenden Bildungsziel; ganz abgesehen davon, wie menschlich wünschenswert diese Fähigkeit ist. Folgerichtig war der am stärksten besetzte Ausbildungsberuf an deutschen Berufsfachschulen im Jahr 2009 Sozialassistent, Altenpfleger folgte auf Platz drei. Zum Schuljahr 2010/ 2011 hin stieg der Anteil der Altenpfleger-Azubis um 13,8 Prozent und belegt damit im Ranking der beliebtesten Ausbildungsberufe Platz zwei.
Die fünfte und letzte Fähigkeit, die die Welt von morgen von der Bildung von heute fordert und damit den Megatrend Neues Lernen vorantreibt, ist intrinsische Motivation. Diese Kompetenz ist die sensibelste und pädagogisch am schwierigsten zu fördernde, zugleich aber auch die wichtigste: Neugier und Begeisterung. Wer intrinsisch motiviert ist, muss nicht Neugier ist die sensibelste und pädagogisch am schwierigsten zu fördernde Kompetenz - zugleich aber auch die wichtigste mit Bestrafungen und Belohnungen angetrieben werden, sondern findet Befriedigung in der Tätigkeit an sich. In Bezug auf Bildung steht intrinsische Motivation für ein „Lernenwollen“, das nicht nur den Charakter erfolgreicher Schüler prägt, sondern auch den Charakter erfolgreicher Menschen. Kein Geringerer als Albert Einstein soll, nach seinem Erfolgsgeheimnis gefragt, gesagt haben: „Ich habe keine besondere Begabung. Ich bin nur leidenschaftlich neugierig.“
Die Bildung der Zukunft endet nicht mit dem „Ab-Schluss“ der Schule. Auf einem unberechenbaren Arbeitsmarkt und in einem von Brüchen und Neuanfängen geprägten Leben ist die permanente Weiterentwicklung von Kompetenzen die beste Versicherung gegen Absturz und Arbeitslosigkeit. Für den leidenschaftlich Neugierigen ist das „lebenslange Lernen“, das für viele andere immer noch wie eine Drohung klingt, auch ein Schlüssel zu einem spannenden und glücklichen Leben. Denn er weiß: Es wird immer viel zu entdecken geben.
Die Kreativ-Ökonomie der Zukunft stellt neue Bedingungen an Arbeitskräfte. Anstelle von Pünktlichkeit, Fleiß, Pflichtbewusstsein und Gehorsam treten Kreativität, semantische Wissensarbeit, soziale Skills, Persönlichkeit und Motivation. Diese Fähigkeiten sind der Schlüssel zu einem neuen Wertschöpfungsmodell jenseits der Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts. 2011 arbeiteten bereits drei von vier deutschen Erwerbstätigen als „Wissensarbeiter“ im Dienstleistungsbereich. Mit dem „Warum“ ändert sich auch das „Wie“ des Lernens und Lehrens: „Flipped Classroom“ zum Beispiel ist ein neues Unterrichtskonzept und bedeutet, dass der Lehrer seinen Frontalvortrag den Schülern als Online-Video zur Verfügung stellt. Der Schüler kann sich den Vortrag zuhause ansehen (und zurückspringen, wenn er etwas nicht verstanden hat). Die „Hausaufgaben“ werden stattdessen vom heimischen Schreibtisch ins Klassenzimmer verlagert: Die praktische Anwendung des zuhause Gelernten wird in der Schule geübt. Hier ist auch der Lehrer vor Ort, falls es Rückfragen gibt. Das klassische Modell „Frontalunterricht in der Schule – Hausaufgaben zuhause“ wird damit auf den Kopf gestellt, eben „flipped“.
Die dreiteilige Biografie des industriellen Normalarbeitnehmers (Ausbildung – Erwerbsleben – Ruhestand) wird immer mehr zur Ausnahme. Der neue Normalfall ist die Multigrafie aus verschiedenen Erwerbs-, Familien- und Bildungsphasen (vgl. Megatrend Individualisierung). Das lässt sich an Indikatoren wie dem Anstieg von Zeitarbeit in Deutschland erkennen: 2011 waren 2,3 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. Seit 2006 ist die Zeitarbeit fast um ein Viertel des derzeitigen Anteils angestiegen. In der Konsequenz findet Neues Lernen zunehmend außerhalb der institutionalisierten Bildungsphase am Anfang des Lebens statt: Sie entkoppelt sich vom schulischen Umfeld. Zugleich wird informelles Lernen zum entscheidenden Faktor in der beruflichen Bildung: In einer Studie von 2010 kamen Peter Casebow und Owen Ferguson zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der befragten US-Manager unvorhergesehene Probleme lösen, indem sie mit ihren Kollegen plaudern. 1996 kam eine ähnliche Befragung auf 70 Prozent. Lebenslanges Lernen ist also nicht an offizielle Fortbildungsmaßnahmen gebunden.
Bildung wird individualisiert. Sie hat nicht mehr die Anpassung an gesellschaftliche Gegebenheiten, sondern die Förderung individueller Talente zum Ziel. Dadurch wird sie auch immer mehr zur Privatsache und verlässt auch ökonomisch den staatlichen Rahmen. Neues Lernen findet zunehmend auf neuen Kanälen statt, also in Privatschulen, aber auch online. In Deutschland setzen immer mehr Private Nachhilfe entwickelt sich zur “Ganztagsschule durch die Hintertür“ Eltern statt auf staatliche lieber auf private Bildungsinstitute:
Private Schulen, auch private Unis verzeichnen seit Jahren wachsende Schülerzahlen. Allein die Zahl der Grundschulen in freier Trägerschaft hat 2012 im Vergleich zu 1998 um 152 Prozent zugenommen. In Zeiten des neuen, individualisierten Lernens sucht jeder nach dem idealen Umfeld, in dem persönliche Talente gefördert werden, anstatt auf Massenerziehung zu setzen.
In der Konsequenz wächst der private Bildungsmarkt und diversifiziert sich weiter aus. Fast überall auf der Welt steigen die Ausgaben privater Haushalte für Bildung; in Deutschland stiegen die monatlichen Bildungsausgaben pro Haushalt zwischen 2003 und 2010 von 9 auf 16 Euro, anteilig von 0,5 auf 0,8 Prozent. Als „Ganztagsschule durch die Hintertür“ bezeichnet die Shell Jugendstudie von 2010 den Nachhilfeunterricht, der in Deutschland immer populärer wird. Anbieter von Schüler-Nachhilfe profitieren von der Zahlungsbereitschaft verunsicherter Eltern, doch auch den Schülern selbst liegt der Bildungserfolg mehr am Herzen als noch vor zehn Jahren. Zwischen 2002 und 2010 stieg die Anzahl der deutschen Schüler, die privaten Nachhilfeunterricht in Anspruch nehmen, von 18 auf 24 Prozent. In England wird zugleich das in den USA schon weit verbreitete E-Tutoring, also Nachhilfe übers Internet, immer beliebter. Große Bildungsverlage wie Pearson beschäftigen Nachhilfelehrer in Indien, die britischen und amerikanischen Schülern via Internet auf die Sprünge helfen.
Bereits 93,8 Prozent der deutschen Schulen, die zum Abitur führen, verfügen über Beamer, 89,5 Prozent über einen Computer. Auch interaktive Whiteboards sind bereits an 62 Prozent der Schulen zu finden. Zusätzlich wird an 44,6 Prozent der Schulen ein wissenschaftlicher Taschenrechner oder Graphikrechner mit oder ohne Computeralgebra eingesetzt. Digitale Medien verlassen das Computerlabor und erobern das Klassenzimmer. Die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft: Überall auf der Welt werden Schulen mit Tablet-Computern, interaktiven Whiteboards und Digital Signage neu ausgestattet. Die Installation interaktiver Flachbildschirme an Schulen und in Universitäten zum Beispiel soll bis 2015 weltweit um 22 Prozent, in den USA sogar um 47 Prozent wachsen.
Digitale Medien als Wissensträger ermöglichen auch neue Inhalte. Unter dem Schlagwort Open Educational Resources lernen digitale Schulbücher etwa, auf neue Forschungsergebnisse sofort zu reagieren. Der Einsatz der neuen Medien ist also nicht nur auf Aushängetafeln beschränkt; auch das Schulbuch erfindet sich neu als interaktives E-Book. Auf lange Sicht werden digitale Medien die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern nicht nur formal, sondern auch inhaltlich verändern. Der Trend zur Openness lässt Wissen transparent und flexibel werden und verändert das autoritäre Lehrer-Schüler-Verhältnis. Peer-to-Peer-Lernnetzwerke machen dem alten, linearen Modell Konkurrenz: Peer Learning – also das in der Pädagogik schon länger etablierte Konzept des Lernens durch geschulte gleichaltrige Peers als Mentoren – entwickelt sich weiter zu Peer-to-Peer Learning – also der Idee einer dezentralen Netzwerkarchitektur, wie wir sie von sogenannten Peer-to-Peer-Netzwerken (P2P) wie Napster kennen.
Neues Lernen findet nicht nur in Schulen statt. In Deutschland bietet die staatliche Fern-Universität Hagen unter anderem Seminare für Schüler an, die die Hochschulreife noch nicht erlangt haben und noch vor dem Abitur die nötigen Leistungen für den Bachelor-Abschluss erlangen können. Die Uni verzeichnete im Sommersemester 2012 die höchste Zahl eingeschriebener Studenten seit ihrer Gründung im Jahr 1974.
Amerikanische Ivy-League-Universitäten haben die Experimentierphase hinter sich gelassen und verlagern Seminare systematisch ins Internet. Mit Harvard und dem Massachusetts Institute of Technology hat das Non-Profit-Unternehmen edX mächtige Verbündete gefunden. Unter dem Label MITx, HarvardX und BerkeleyX (analog zur Öffnung der TED-Konferenzen durch das Label TEDx) ermöglichen die Universitäten Studenten aus aller Welt, an ihren Kursen online teilzunehmen. Gegen eine geringe Gebühr erhält man künftig eine Teilnahmebescheinigung über die absolvierten Kurse.
In Stanford führte ein solches Online-Seminar über Künstliche Intelligenz zur Gründung des Startup-Unternehmens Udacity. Der Stanford-Professor und für Google tätige Forscher Sebastian Thrun öffnete 2011 den KI-Kurs, indem er ihn gleichzeitig online abhielt. 160.000 Studenten nahmen teil. 23.000 von ihnen legten erfolgreich die Abschlussprüfung ab, über 400 Online-Studenten waren besser als der beste Stanford-Student. Thrun verließ daraufhin Stanford und gründete mit zwei Kollegen die offene Lernplattform Udacity, die die Absolventen ihrer Kurse zertifiziert. So kann die teure, nur wenigen zugängliche Ausbildung an Elitehochschulen demokratisiert werden.
Durch Self-Tracking wird den Schülern der eigene Lernfortschritt offengelegt. Diese Selbstbeobachtung, die sich von dem numerischen Vergleich zwischen Schülern in einem Klassenverband und der Bewertung durch die Autorität des Lehrers löst, befeuert die intrinsische Motivation der Lernenden.
Ein Pionier des neuen Bildungsformats Online-Universität war die Khan Academy. Auf der Plattform finden sich über 3.400 kurze Video-Tutorials, die bislang über 200 Millionen Mal abgerufen wurden, sowie hunderte von Übungsaufgaben, die sich vornehmlich an Schüler richten. Damit ermöglicht die Khan Academy Menschen, die sonst von Bildungschancen ausgeschlossen sind, kostenlosen Zugang zu hochwertiger Bildung, insbesondere in Entwicklungsländern. Tracking und Statistiken sind ein wichtiger Teil des pädagogischen Konzepts der Khan Academy: Jeder „Schüler“ kann den eigenen Fortschritt anhand seiner „Knowledge Map“ nachvollziehen, die von Google nach Vorbild der geographischen „Google Maps“ erstellt wurde. Zudem bietet die Academy auch Tracking-Tools für Lehrer, ähnlich denen der Pädagogen-Plattformen LearnZillion und Kickboard – nur kostenlos.
Der Gamification-Trend erfasst auch die Bildungsbranche. Der Trend zum „spielerischen Lernen“ geht mit Self-Tracking oft Hand in Hand, weil die quantitative Erfassung der eigenen Leistung die Voraussetzung für Motivationsanreize ist, wie man sie aus Computerspielen kennt. Durch Punktesysteme und Level-Upgrades bringt Gamification sofortige Rückmeldung über den Lernfortschritt. Spiele werden als nächste Entwicklungsstufe von Benotungssystemen gewertet.
PlayDUcation ist das neueste Unternehmen der Gründerin der Phorms-Privatschulen, Béa Beste. Es setzt sich die Entwicklung von Forscher-, Entdecker- und Erfinderspielen für Kinder aller Altersgruppen zum Ziel. Der Ansatz nennt sich „Quest-Based Learning“. Dabei geht es um offenes, investigatives und spielerisches Lernen jenseits des Klassenzimmers. Als erstes Produkt soll noch 2012 die „Tollabox“ herauskommen, ein monatlich erscheinendes Boxset mit Materialien, Inspirationen und Elterntipps für das spielerische Lernen.