Hacker-Ethik, Diversität und verbindende Elemente im Chaos Computer Club: Interview mit einem Hacker der ersten Stunde, der anonym bleiben möchte.
Was summiert man unter dem Begriff des Hackers?
“Den” Hacker gibt es nicht. Das Problem mit diesem Begriff ist, dass er unheimlich breit angelegt ist. Man fasst darunter zum einen diejenigen zusammen, die leidenschaftlich programmieren – und auf der anderen Seite diejenigen, die sich aus kriegerischen Gründen Zugang zu anderen Staaten verschaffen möchte. Dieses breite Spektrum führt dazu, dass einige den Hacker als jemanden sehen, der die Systeme fremder Leute durcheinanderbringt. Auf der anderen Seite betont der Begriff eigentlich nur das Kreative und Schöpferische, meint also die Leute, die ihre technischen Kräfte dazu einsetzen, irgendetwas zu schaffen.
Sie sind langjähriges Mitglied im Chaos Computer Club. Was war der ursprüngliche Sinn der Treffen im Hackerspace?
Wir haben eigentlich alles gemacht, was uns Spaß gemacht. Da waren auch Sachen dabei, die heutzutage nicht erlaubt sind. Wir haben uns zum Beispiel in verschiedene Forschungsrechner gehackt und uns durch die Forschungsnetzwerke durchgegraben. Dabei haben wir zunächst einmal unheimlich viel gelernt. Zum Beispiel, mit diesen monströsen Computern umzugehen, die sich damals noch niemand leisten konnte. Es reichte ein Modem und ein bisschen Aktivität, um sich in die millionenschweren Computer zu hacken. Und dabei lernte man nebenbei auch, wie sie funktionieren.
Würden Sie das Lernen als Funktion des Hackens bezeichnen – oder ist das für Sie nur der positive Nebeneffekt einer Sache, die sowieso schon Spaß macht?
Beim Hacken geht um das Lernen und das Weitergeben des Gelernten. Dies war zumindest unsere Definition im Chaos Computer Club (CCC) und hat auch dazu geführt, dass wir uns gegenseitig sehr viel beigebracht haben. Diese Expertise kann man heute noch sehen.
Hat sich die Struktur des CCC Ihrer Meinung nach im Laufe der Zeit verändert?
Inzwischen zählt der CCC rund 5000 Mitglieder – das ist natürlich anders als in den 80ern, als wir noch ein eingeschworenes Team von zehn Leuten waren. Heute sind alle möglichen Leute dabei, die die Idee einfach gut finden. Der CCC soll ja auch kein Gleichschaltungsclub sein, sondern es geht nach wie vor darum, dass Menschen voneinander lernen, im besten Sinne. Insofern gibt es eine erhebliche Diversität, sowohl lokal als auch altersmäßig oder herkunftsabhängig. Es ist alles sehr bunt gemischt. Würde man zum Beispiel in irgendeinen Hackerspace gehen, der sich CCC nennt, würde man wohl sehr unterschiedliche Erlebnisse mit nach Hause nehmen. Von der Vielfalt kann man viel lernen. Es gibt aber auch ein paar Dinge, auf die wir uns im Laufe der vielen Jahre geeinigt haben – zum Beispiel, dass wir staatliche Überwachung nicht gut finden.
Inwiefern unterscheidet sich der CCC von anderen Computerclubs?
Dem CCC geht es nicht nur um die technische Seite, sondern auch um die gesellschaftliche. Dabei spielt die Ethik eine große Rolle. Denn wenn man alles gelernt hat, steht man vor der rage, was man jetzt mit seinem Wissen anfangen soll.
Gibt es auch negative Entwicklungen, die sich innerhalb oder auch außerhalb der CCC-Szene abzeichnen? Dass zum Beispiel Accounts gehackt und Kontoinformationen geklaut werden, geschieht ja nicht zum Lernzweck.
In so einem großen Haufen gibt es immer verschiedene Strömungen, und nicht alle davon gefallen mir. Wenn man aber einen bestimmten Zweck mit seinem Hack verfolgt und diesen Zweck ehrenwert findet, dann muss das nicht zwangsläufig negativ sein. Wenn man beispielsweise eine große Anzahl von Accounts irgendwohin wegkopiert, um damit auf etwas aufmerksam zu machen und dabei darauf achtet, dass man den Betroffenen keinen Schaden zufügt, ist das von unserer Ethik noch gedeckt.
Also ist die Grenze des Hackings für Sie dort, wo Schaden entsteht?
Ich bin der Meinung, dass es in Ordnung ist, solange kein Schaden entsteht. Allerdings ist es dabei auch wichtig, zu differenzieren, für wen möglicherweise Schaden entsteht. Einer unserer Grundsätze lautet ja: „Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen.“ Wenn es dabei um Individuen geht, ist also eindeutig eine Grenze überschritten. Will man aber – wie es zum Beispiel Edward Snowden gemacht hat – auf Missstände hinweisen, auf Institutionen, die nicht ganz astrein sind, dann finde ich das ethisch durchaus akzeptabel.
Wird es für Hacker mit kriegerischen Absichten bald möglich, sich so weit in Systeme reinzuhacken, dass sie Kriege beeinflussen könnten?
Tatsache ist, dass Staaten Hacker dafür bezahlen, um genau dies zu versuchen. Wie es ausgeht, bleibt abzuwarten. Das hängt auch davon ab, wie man weiter mit dem Schutz der kritischen Infrastruktur umgeht, also wie unempfindlich man die Infrastruktur für solche Angriffe macht. Da gibt es durchaus Möglichkeiten, die aber nicht immer gegangen werden – häufig aus wirtschaftlichen Gründen.
Können Hacker auch einen Einfluss auf gesellschaftliche oder politische Prozesse haben?
Wenn das Verfassungsgericht zu diesem Thema irgendetwas entscheiden will, werden wir als Experten natürlich auch mal angerufen. Insofern gibt es zumindest einige Möglichkeiten, um sein Expertenwissen zur Verfügung zu stellen, etwa beim Thema Vorratsdatenspeicherung. Es sind zum Beispiel auch Gutachten von zwei unserer Leute in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beim Verfassungsgerichtsprozess miteingeflossen.
Das Interview führten Jasmin Grohmann und Carla Jürgens.
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