Die Bio-Ökonomie boomt – die USA haben verkündet, eine nationale Initiative für Biotechnologie und Bioproduktion zu starten. Welche Rolle spielen Pilze für diese Wirtschaft von morgen? Ein Gastbeitrag von Johannes Eckert.
Pilze und Wirtschaft – da denkt man vielleicht zunächst an Speisepilze, Brotwaren oder Getränke wie Bier, bei denen Hefepilze für die Herstellung genutzt werden. Doch die ökonomischen Pilz-Potenziale sind weitaus größer: Die Forschung im Bereich der Bioökonomie lässt derzeit innovative neue Anwendungen von Pilzen in allen möglichen Bereichen entstehen. Das meiste davon liegt noch verborgen im Untergrund, so wie das unterirdische Geflecht der Pilze, das Myzel. Doch erste ökonomische Fruchtkörper sind bereits an der Oberfläche zu sehen.
So arbeiten etwa weltweit junge Unternehmen an der Wiedernutzbarmachung von Bodenpilzen für eine nachhaltige Landwirtschaft. Die unscheinbaren Pilze, deren dichte Geflechte Nährstoffe zu den Wurzeln von Pflanzen transportieren, sind durch starke Bodenbearbeitung und Fungizide erheblich geschwächt worden. Das deutsche Start-up INOQ hat nun ein neues Pilz-Substrat für die kommerzielle Tomatenproduktion entwickelt, das zugleich den Einsatz von Phosphordünger verringert.
Dass Bodenpilze in der Landwirtschaft bis heute trotzdem noch Nischenprodukte sind, ist vor allem der fehlenden Offenheit und Kooperationsbereitschaft der etablierten Landwirtschaft und Wagnis-Investoren geschuldet. Um die Pilz-Ökonomie zum Laufen zu bringen, ist es deshalb zunächst wichtig, den Kopf zu öffnen für die vielfältigen Fähigkeiten der Lebensform Pilz – von der Herstellung von kooperativen Netzwerken bis zur Zersetzung von alten Strukturen als Voraussetzung für die Entstehung von Neuem.
Ein Beispiel für ein solches Umdenken ist die Open Hybrid LabFactory, eine Public Private Partnership, bei der Volkswagen und verschiedeneAutomobil-Zulieferer unter anderem mit der Stadt Wolfsburg, der Fraunhofer Gesellschaft und der TU Braunschweig kooperieren. Dabei werden zum Beispielneue Materialien aus Pilz-Myzel für natürliche Polymere untersucht. Die Fraunhofer Gesellschaft baut seit längerem das ThemaBioökonomie als strategisches Forschungsfeld auf, etwa für den Einsatz von Hefen in industriellen Bioraffinerien.
Wie neue Materialien auf Pilz-Basis entstehen können, zeigen viele junge Unternehmen. So hat MycoWorks aus Kalifornien einen lederähnlichen Werkstoff entwickelt, ecovatice aus dem Bundesstaat New York kreiert aus Myzel auch Lebensmittel, Schäume, Kosmetik und Verpackungen – in Großbritannien entsteht derzeit eine Verpackungsfabrik mit einem Pilz-Composit, das vom ecovative-Tochterunternehmen Mushroom Packaging lizensiert wurde.
Um solche Ideen weiter in die wirtschaftliche Anwendung zu bringen, braucht es Orte, die Kommunikation und Vernetzung ermöglichen. Eines der wenigen Beispiele hierfür ist planb, ein Gründerwettbewerb für Start-ups im Bereich Bioökonomie. Unterstützt wird er unter anderem von der TU München, die dem Thema Netzwerke und Kooperation schon länger große Aufmerksamkeit widmet, etwa mit UnternehmerTUM, dem inzwischen größten Innovations- und Gründerzentrum Europas. Im Rahmen der Start-up-Strategie der deutschen Bundesregierung sollen nun fünf bis zehn weitere solcher Netzwerke gefördert werden.
Die konkreten Einsatzgebiete der Pilz-Biotechnologie sind extrem vielfältig. An der Schweizer Forschungseinrichtung Empa nutzt man sie zum Beispiel zur Entwicklung von Holzschutzmitteln und Wasserfiltern sowie zur Marmorierung von Holz, im Geigenbau lassen sich durch den Einsatz von Pilzen die Klangqualitäten einer Stradivari aus dem 17. oder 18. Jahrhundert erreichen. In der Baubranche nutzt das britische Start-up Biohm landwirtschaftliche Reststoffe als Nahrung für das Myzel, um leichte und biologisch abbaubare Dämmstoffe herzustellen – das Material kann auch in Platten gepresst oder im 3-D-Druck eingesetzt werden. In eine ähnliche Richtung forscht das Karlsruher Institut für Technologie: Hier verwendet man vor allem Stroh und Holzspäne für die Arbeit mit dem Pilz-Myzel, die Druckfestigkeit der Pilz-Ziegel liegt mittlerweile nah an klassischen Ziegeln. Zum Einsatz kamen diese Pilz-Bausteine unter anderem bei temporären Bauten auf der Biennale in Seoul und als Isolationsmaterial am Forschungszentrum NEST der Empa in Zürich.
Zu den Pionieren im Bereich pilzbasierter Lebensmittel zählt in Deutschland das Unternehmen Mushlabs, das Restwertstoffe aus der Lebensmittelindustrie wie Sägemehl, Getreideabfälle, Reishülsen oder Kaffee- und Teeabfälle als Nährstoff für das Pilz-Myzel einsetzt. Bei einer industriellen Produktion geschieht dies in Bioreaktoren, wo ein Fermentationsprozess stattfindet: Die Myzelien können nach wenigen Tagen geerntet und beispielsweise zu Steaks oder Bällchen geformt werden. In Großbritannien stehen die Pilz-Produkte von Quorn bereits in den Einkaufsregalen. Derzeit plant das Unternehmen den fünften Fermenter: Der rund zehn Stockwerke hohe Bioreaktor mit einem Fassungsvermögen von 170.000 Litern wird rund 375 Tonnen Myzelien produzieren – pro Woche.
Die Vielfalt der Anwendungsbeispiele macht nicht nur deutlich, dass die Pilz-Ökonomie neue, bislang verborgene Potenziale erschließt. Sie verweist auch auf eine strukturelle Analogie zwischen Wirtschaft und Pilzen: In beiden Fällen basieren die sichtbaren Früchte auf dem unsichtbaren Untergrund der Netzwerke und Verbindungen. Pilze und andere Protagonisten der Bio-Ökonomie, etwa Algen oder Holz, verweisen deshalb auch auf die Notwendigkeit einer neuen Wirtschaftskultur, die diesem Verborgenen und Unsichtbaren einen größeren Wert beimisst.
Johannes Eckert ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich als selbständiger Wissensvermittler mit den Themen Energie, Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie. Im Zentrum steht dabei die Beschleunigung des Transfers vorhandener Klimalösungen aus Forschung und Start-ups in Wirtschaft, Politik und Medien.