Die Prophezeiung Ende 2012, dass der 3D-Druck wie eine Bombe im Retail-Markt einschlagen würde, machte 3D-Druck-Unternehmen zu den Lieblingen der Börse. Gut zwei Jahre später die Ernüchterung: Bei Konsumenten haben sich die Geräte (noch) nicht durchgesetzt, denn für den Heimgebrauch bringen sie mehr verschrobenes Plastik hervor als brauchbare Resultate. Dafür tritt 3D-Druck nun den Siegeszug in der Industrie an.
Hinter der griffigen Bezeichnung „3D-Druck“ steht eine ganze Reihe additiver Fertigungstechnologien. Die meisten arbeiten mit Geräten, die auf Basis von CADDaten einen Gegenstand Schicht um Schicht zum Beispiel aus Keramik, Metall oder Kunstharz aufbauen. Die Schichtbauverfahren haben zwei elementare Vorteile. Erstens das Prinzip Complexity for free. Bereiteten komplizierte Formen den Ingenieuren bisher Bauchschmerzen, weil ihre Die flexible Produktionsstätte ist die Fabrik der Zukunft Konstruktionen fertigungsadäquat gedacht sein mussten, spielt die Komplexität beim Schichtbauverfahren keine Rolle. Zweitens sind die Skaleneffekte passé. In der konventionellen Produktionslogik kostet ein Einzelstück ein Vermögen. Ein Produkt rechnet sich erst, wenn es zu Tausenden übers Band gehen kann. 3D-Druck schreibt nun diese Regeln neu.
Was nach Zauberei klingt, hat schon eine längere Geschichte – und es steckt viel harte Arbeit dahinter. In den 1980er-Jahren jubelte die Industrie über den neuen Prototyper: Mit 3D-Druck konnten Ideen einfacher, schneller und billiger visualisiert werden als mit Styropor-, Sperrholzoder Gussmodellen. Heute ist 3D-Druck das Versprechen, die konventionellen Produktionstechnologien – Gießen, Fräsen, Schleifen, Drehen oder Bohren – zu ersetzen. „Der Prototyper wandelt sich zum Fabrikator“, sagt Andreas Gebhardt, Professor für Hochleistungsverfahren der Fertigungstechnik und Rapid Prototyping an der Fachhochschule Aachen. Laut Wohlers Report ist der 3D-Druck-Markt 2013 um 34,9 Prozent auf 3,07 Milliarden US-Dollar gewachsen – in den letzten 26 Jahren gab es ein durchschnittliches Wachstum von 27 Prozent. Die Prognosen sind rosig. Hochrechnungen für das Jahr 2025 kommen auf ein Marktpotenzial von etwa 50 Milliarden Dollar. Die Zahlen betreffen sowohl die Industrie als auch den Privatgebrauch.
2005 tauchten sogenannte Fabber auf, teure Ungetüme für den Hobbykeller. Mittlerweile ist der 3D-Drucker für den Hausgebrauch so erschwinglich wie eine Waschmaschine und ruft Bastler auf den Plan. Die Empowerment-Fans klatschen in die Hände. Ihre Vision: Unabhängigkeit von den Konzernen. Manche Trendforscher, allen voran der ehemalige Wired-Chefredakteur Chris Anderson, sehen in der Maker-Bewegung die nächste industrielle Revolution. Was man benötigt, druckt man künftig selbst; Kontaktlinsen, Geschirr, Schuhe. Dafür geht man dann aber nicht in den Keller, sondern zum Maker-Space um die Ecke. Mit der Demokratisierung der Produktionsverhältnisse sehen Anderson und Co. gar die letzte Stunde für Großkonzerne gekommen.
Frank Piller, Innovationsforscher an der RWTH Aachen, gibt dieser Erwartung einen Dämpfer: „Für 90 Prozent unseres Konsums werden wir weiter Massenware von Großkonzernen nutzen.“ Das Netz von kleinen, flexiblen Produktionsstätten, das der Ökonomin Shoshana Zuboff mit ihrem Konzept „Distributed Capitalism“ vorschwebte, wird wohl kaum die industrielle Massenproduktion verdrängen. Denn auch die Industrie rüstet allmählich ihre Werkhallen um.
Das Potenzial steht außer Frage. „3D-Druck könnte zu einer Ent-Globalisierung und einer Re-Regionalisierung führen“, meint Zukunftsforscher Robert Gaßner sogar. „Der Pionierbereich der Re-Regionalisierung wird die Ersatzteilindustrie sein.“ Die Produktion, die derzeit vor allem in die Niedriglohnländer ausgelagert ist, rücke absehbar wieder näher an den Markt. Da, wo das Autoteil gebraucht wird, soll es auch produziert werden, unter Umständen an lokale Gegebenheiten angepasst – Druck on demand. Das spare Zeit, schone die Umwelt und die immensen Transport- und Logistikkosten würden Bilanzballast von gestern sein. Arbeitsplätze würden in der Region geschaffen. „Im Idealfall kommen dann auch die Rohmaterialien aus der Region“, malt sich Gaßner das Zukunftsszenario aus. „Die Waren mögen dann nicht mehr physisch um den Globus gehen, digital tun sie es trotzdem“, so Andreas Gebhardt. Importverbote zum Beispiel von Waffen könnten mit Leichtigkeit umgegangen werden – sofern man Zugang zu einem Hochleistungsdrucker hat.
Sind die CAD-Daten einmal im Netz, machen sie die globale Runde. Das ist die Gefahr des „Internets der Dinge“, zu dem sich das „Internet der Ideen“ gewandelt hat. Das Marktforschungsinstitut Gartner schätzt den Schaden durch illegale 3D-Kopien bis zum Jahr 2018 auf 100 Milliarden US-Dollar. Das Szenario erinnert an das Aufkommen von MP3 und die Folgen für die Musikbranche. Das gleiche Dilemma zeichnet sich jetzt für die ganze Industrie ab.
3D-Druck hat aber auch eine ähnlich positive Schlagkraft wie MP3. In einzelnen Branchen gelingt die Massenproduktion von Einzelteilen bereits. Forschung wie Industrie können sich auf eine Lieblingsgeschichte einigen: die additive Fertigung von Zahnkronen, denn die ist tatsächlich revolutionär. Am Tag können 150 passgenaue Einzelstücke additiv gefertigt werden. „Rapid-Technologien sind vor allem da interessant, wo komplex geformte Teile schnell, flexibel und in kleiner Stückzahl auf den Markt kommen müssen: in der Autoindustrie, Luft- und Raumfahrt, in der Medizintechnik“, so Andreas Gebhardt. Deutschland liegt derzeit dank Metallindustrie mit einem Anteil von 9,4 Prozent auf Platz 3 der additiv fertigenden Länder; davor kommen noch Japan und die USA. „3D-Druck ist ein Anwendungsbeispiel, wie physische Produkte mit Datenströmen verknüpft werden und eine Produktion möglich machen, an deren Ende massenweise Einzelstücke herausploppen“, erklärt Gebhardt. Maschinen müssen nicht mehr kostspielig umgerüstet werden, denn die technischen Änderungen werden am Datensatz und nicht am Werkzeug gemacht. Die flexible Produktionsstätte ist die Fabrik der Zukunft.
Das Zukunftsprojekt wird in Deutschland unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ gehandelt. Bis zu 200 Millionen Euro steckt die Bundesregierung laut Finanzplan in die smarte Aufrüstung. Noch stockt die Erfolgsstory: neue Kontrollinstrumente für Qualitätsstandards müssen her, die Materialeigenschaften und die geringe Durchflussleistung bereiten der Industrie Schwierigkeiten, viele Drucke benötigen zudem eine manuelle Nachbearbeitung. Dazu kommt, dass sich die Industrieriesen aus Konkurrenzangst mit ihren Entwicklungen bedeckt halten. Würden sie ihre Entdeckungen wie die Maker Community auf Plattformen (Thingiverse und Google 3D Warehouse) teilen, könnte der 3D-Druck den Kinderschuhen schneller entwachsen. „Dann wären 3D-Drucker schon soweit, neben der Hülle das intelligente Innenleben von Handys und Autos gleich mitzudrucken“, meint Gebhardt.
Literatur:
Chris Anderson: Makers, The New Industrial Revolution, Crown Business 2012.
Matthias Baldinger: 3D-Drucker revolutionieren die Supply Chain. In: GSO network online, 20.6.2014.
Verena Gründel: Wie Mass Customization künftig Fertigungsmodelle auf den Kopf stellt. In: iBusiness, 10.6.2013.
Frank T. Piller, Christian Weller, Robin Kleer: Business Models with Additive Manufacturing – Opportunities and Challenges from the Perspective of Economics and Management, S. 39–48. In: Business Models with Additive Manufacturing – Opportunities and Challenges from the Perspective of Economics and Management, Springer International Publishing, 2015.
Wohlers Report 2014 – 3D Printing and Additive Manufacturing State of the Industry. 3Sat: Wie 3D-Druck unsere Welt verändert. Ausgestrahlt am 14.11.2013.
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