Dem Verbrechen auf der Datenspur
„Predictive Policing“ ist hocheffizient - und in den USA bereits weitverbreitet. Europa muss eine Balance finden zwischen öffentlicher Sicherheit und der Wahrung der Persönlichkeitsrechte.
Verbrechen vereiteln, bevor sie entstehen. Schon vorab wissen, wo gleich eine Straftat begangen wird. Was nach einer Science-Fiction-Vision à la „Minority Report“ klingt, ist mit „Predictive Policing“ – der vorausschauenden Polizeiarbeit – bereits Realität. Dafür wird keinerlei Hellseherei benötigt, es reichen simple Daten. Big Data und deren Analyse gelten als künftige Goldgrube in vielen Bereichen der Wirtschaft. Aber auch in der Kriminalitätsbekämpfung werden große Hoffnungen ins Data-Mining gesetzt. Erste Erfolge bestätigen den Einsatz von „Predictive Analytics“ in der täglichen Polizeiarbeit für ein friedlicheres Miteinander.
Der Polizist der Zukunft ist vernetzt
Die digitale Revolution macht auch vor der Arbeit der Polizei nicht halt und krempelt sie völlig um. Neue Technologien ermöglichen inzwischen eine sichere und schnellere Aufklärung von Straftaten. Seit Sommer 2013 setzt die bayerische Polizei Tablet-PCs, sogenannte „CarPads“, für die Schleierfahndung ein. Neben der mobilen Abfrage von Informationen können auch Fingerabdrücke mit der Datenbank in Echtzeit abgeglichen werden. In einigen Polizeistationen in den USA werden bereits die Datenbrille Google Glass und im Kragen befestigte Mini-Kameras getestet. Doch das ist nur der Anfang: Künftig wird der Polizist in Echtzeit auf alle relevanten Daten zugreifen können. 2022 nutze er nur noch ein System, das alle administrativen Angelegenheiten wie Zeiterfassung, Berichterstellung und Datensammlung vereinigt. „Streifenpolizisten haben direkten Zugang zu differenzierten biometrischen Informationen. Das macht es beinahe unmöglich, seine Identität zu verschleiern“, prognostiziert Oberst Kriste Kibbey Etue. Sie ist State Police Director von Michigan.
Schon seit Jahren sammelt die Polizei fleißig Daten und wälzt Statistiken – heute können diese Daten mithilfe neuester Computertechnologien schnell ausgewertet und mögliche Korrelationen auf Knopfdruck hergestellt werden. Mit dem Modell der Verbrechensvorhersage „Predictive Policing“ können soziale Brennpunkte überwacht oder identifiziert werden. Mit dieser Technologie wird versucht herauszufinden, wann und wo ein Verbrechen stattfinden wird, um vorher dort zu sein und es verhindern zu können. Dafür analysiert eine spezielle Software Unmengen an Daten und Statistiken, vergleicht sie, sucht nach Mustern und spuckt mögliche Tatorte und Tatzeiten aus. So technologisiert diese Abläufe klingen, ohne den Menschen sind sie nicht möglich: Denn Polizisten müssen das Programm täglich mit Daten füttern, um Aktualität zu gewährleisten. Außerdem sind es Polizisten, die den möglichen Tatort überwachen, indem sie Präsenz vor Ort zeigen. In zahlreichen Städten in den USA wird diese pro-aktive Polizeiarbeit bereits praktiziert.
Ein Pionier ist die Polizei in der kalifornischen Küstenstadt Santa Cruz. Bereits seit drei Jahren werden die circa 100 Polizisten der Stadt vom Computerprogramm auf Streife in 15 High-Risk-Areas – Gebiete mit einem hohen Potenzial für Straftaten – geschickt. Entwickelt wurde die „Predictive Policing“-Software von dem Computerwissenschaftler George Mohler und dem auf Verbrechensszenarien spezialisierten Anthropologen Jeffrey Brantingham. Dabei basiert die Anwendung auf Modellen der Erdbebenforschung. Obwohl der stellvertretende Polizeichef selbst skeptisch war, startete er 2011 mit den Wissenschaftlern das Pilotprojekt – mit durchschlagendem Erfolg. Im ersten Jahr gingen die Einbrüche um elf Prozent, die Autodiebstähle um acht Prozent zurück. Dagegen stieg die Zahl der Festnahmen um 56 Prozent. Vom Erfolg bestätigt haben die beiden Wissenschaftler inzwischen ein eigenes Startup gegründet und vermarkten ihre Analyse-Software unter dem Namen PredPol. Die Polizei in Großstädten wie Los Angeles, Chicago, Seattle oder Boston schwört auf dieses Pre-Crime-Tool. Obwohl die Software teuer in der Anschaffung ist, lohnt sich der Einsatz für die Polizei in den Großstädten der USA mit einer hohen Kriminalitätsrate. Denn Straftaten zu verhindern ist nicht nur ehrenwerter, sondern auch kostengünstiger, als sie aufzuklären.
Zwischen Sammelwut und Datenschutz
Während in den USA „Predictive Policing“-Technologien immer häufiger zum Einsatz kommen, ist man europaweit – und vor allem im deutschsprachigen Raum – noch zurückhaltend. Die Software PredPol wird seit Frühjahr 2013 erstmals in Europa in der britischen Grafschaft Kent in der täglichen Polizeiarbeit eingesetzt. Die Genfer Kantonspolizei nutzt die Software DataPol, die von IBM entwickelt wurde, um die Entwicklung von Straftaten in verschiedenen Quartieren zu analysieren. So können auch Polizeieinsätze vor Ort besser geplant werden. In Deutschland und Österreich steckt man hingegen in Sachen vorausschauende Polizeiarbeit mithilfe von Big Data noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase. Aus historischen Gründen ohnehin empfindlich, sind die Bürger hierzulande nach dem NSA-Skandal zusätzlich sensibilisiert und stehen Data-Mining äußerst skeptisch gegenüber. Auch die rechtlichen Grundlagen, vor allem im Datenschutz, sind in Deutschland und Österreich ganz andere als in den USA. So greift beispielsweise die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in die Grundrechte des Menschen ein. Deshalb hat man in Deutschland und Österreich eigenständige Forschungsprojekte zur Kriminalitätsprognose gestartet und greift nicht auf angelsächsische Technologien zurück.
Milliardenschwerer Wachstumsmarkt
Doch nicht nur in der Polizeiarbeit kommen „Predictive Analytics“-Tools zum Einsatz, sondern auch in der privaten Sicherheitsindustrie, z. B. für die Überwachung von Shopping-Malls oder Großveranstaltungen. Der weltweite Sicherheitsmarkt umfasste im Jahr 2011 einen geschätzten Gesamtwert von rund 100 Milliarden Euro, wobei auf die EU ein Marktanteil von 26 bis 36,5 Milliarden Euro entfällt (Europäische Kommission). In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl von Wach- und Sicherheitsunternehmen in Deutschland stetig gewachsen: von 2.825 im Jahr 2003 auf den vorläufigen Wert von 4.000 im Jahr 2013. Der Umsatz lag 2013 bei geschätzten 5,15 Milliarden Euro – und somit über eine Milliarde höher als noch vor zehn Jahren (BDSW/Statistisches Bundesamt). Wen wundert es da, dass die EU-Kommission 2014 über 190 Millionen Euro in die Sicherheitsforschung investieren will. Denn immer mehr Hightech-Sicherheitstechnologien erobern den Alltag und sorgen auch dort für Schutz, wo die Polizei gerade nicht vor Ort sein kann – und künftig auch nicht mehr präsent sein muss.
Der Einsatz von neuen Technologien in der täglichen Polizeiarbeit sorgt künftig für eine bessere und schnellere Aufklärung von Straftaten. Ihre beachtlichen Erfolge machen „Predictive Policing“-Tools zu einem essenziellen Bestandteil der globalen Polizeiarbeit. Ein Schlüssel zum Erfolg ist sicherlich, dass hierzulande eigenständige Forschungsprojekte zum Einsatz von „Predictive Analytics“ auf dem Weg sind, die vor dem Hintergrund deutscher Gesetze und Befindlichkeiten entwickelt werden. Die große Herausforderung für die Zukunft wird sein, eine optimale Balance zwischen öffentlicher Sicherheit und den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen zu schaffen.