Ein neuer Zugang hilft, den Innovation Gap zu überwinden, wichtige Fragen von einer höheren Qualitätsstufe her zu beantworten und wieder zu echten, wertvollen Innovationen zu kommen.
Lange glaubte man, die jungen Digital Natives würden eine Kulturtechnik für einen „angemessenen“ digitalen Medienkonsum etablieren. Mehr noch: Man hoffte, sie hätten eine angeborene Intuition für den richtigen Umgang mit der Gleichzeitigkeit der digital-konnektiven Welt. Es wurde prognostiziert, dass die Jungen als Protagonisten des vernetzten Zeitalters das Sozialisationsprinzip umkehren und den Alten alles über den Umgang mit der neuen digital-realen Welt lehren würden.
Tatsächlich sieht die Zukunft anders aus: Es sind die Freeager, die “neuen Alten”, die den wichtigsten Beitrag zur Ausbildung einer Kulturtechnik im Umgang mit digitalen Medien leisten. In der Pro-Aging-Gesellschaft verhelfen die gereiften Älteren der Gesellschaft zur digitalen Emanzipation. Diese ganzheitliche digitale Kompetenz zeichnet sich aus durch eine neue Selbstbestimmtheit und eine ausgeprägte Achtsamkeit in der Auswahl und im Konsum der virtuellen Kommunikationskanäle und ihrer Inhalte. Im Zeitalter der Übernervosität haben Freeager die Ruhe, nicht sofort auf eine Mail zu reagieren, obwohl sich ihnen dadurch möglicherweise ein lukratives Jobangebot eröffnen würde. Sie haben die Gelassenheit, sich ganz bewusst für einen Kommunikations-Channel zu entscheiden, statt sich im Multichanneling zu verlieren. Und sie pflegen die pragmatische Haltung, die Möglichkeiten der Vernetzung nur dann zu nutzen, wenn es für sie einen spürbaren Mehrwert hat, und nicht einfach immer und deshalb, weil es möglich ist.
Warum sie, die Digital Immigrants, und warum nicht die jungen Digital Natives, die doch per definitionem in allem, was mit Internet und Digitalisierung zu tun hat, allen voraus sein müssten? Weil diese Gegenüberstellung, die Marc Prensky 2001 nachhaltig ins kulturelle Mindset einspeiste, den Fokus falsch setzt. Obwohl er selbst seinen linearen Gedanken schon 2009 revidierte, ist die Gesellschaft bis heute mit der religiösen Verehrung der Jugendlichkeit und dem Containering der Alten beschäftigt.
„The distinction between digital natives and digital immigrants will become less relevant. Clearly, as we work to create and improve the future, we need to imagine a new set of distinctions. I suggest we think in terms of digital wisdom. [...] Digital wisdom transcends the generational divide defined by the immigrant/native distinction.“ (Prensky, M. 2009. H. sapiens digital: From digital immigrants and digital natives to digital wisdom.)
Diese digitale Weisheit haben nicht automatisch diejenigen, die schnell adaptieren und immer alles über die Technik, ihre Möglichkeiten und Funktionsweisen wissen. Sondern die, die einen Begriff davon haben, WIE man durch und im Umgang mit vernetzter Technologie wirklich weiser werden kann – statt sich in der fraktalisierenden Reizflut zu verlieren. Im Kontext von virtuellen Netzwerken etwa geht es nicht zuerst um technische, sondern um soziale Fähigkeiten: wissen, wie man sich präsentiert, auftritt – und wie man Grenzen zieht.
Digital Wisdom heißt: wählen, was gut tut. Die digital Weisen sind von dem Suchteffekt befreit, den die ständigen Reize der virtuellen Netzwerke erzeugen. Sie fokussieren auf eine Wirklichkeitswahrnehmung, die noch etwas mit ihnen selbst zu tun hat. Für die Entwicklung einer solchen “humanen” digitalen Strategie braucht es eine innere Ruhe, die Fähigkeit zur Innenschau, die Konzentration auf Balance im eigenen Sein – eine reife Individualität: etwas, was in der Jugend zwar gekonnt gespielt (Coolness), aber tatsächlich erst später entwickelt wird. Wo den Jüngeren die Lebenserfahrung fehlt, fehlt den Menschen in der "Rush Hour des Lebens" die Gelassenheit, sodass sie sich lieber mit Zeitschriften wie "Landlust" in eine rückwärtsgewandte, analoge Landleben-Illusion flüchten.
Seit Jahren schon gibt es zahlreiche Tandem-Programme, in denen Jugendliche den Senioren das Handling der digitalen Technik beibringen. Hier kann niemand der jungen Generation etwas vormachen: Sie ist anpassungsfähig und lernt schnell, neue technische Raffinessen zu verwenden. Zukunftsorientierte Programme wie etwa die österreichische Initiative „digi4family“ konzentrieren sich dagegen darauf, den älteren Generationen ihre Rolle als lebende Vorbilder in Sachen Medienverhalten deutlich zu machen. Hier wird eine digitale Medienkompetenz vermittelt, die unabhängig vom jeweiligen konkreten Stand der Technik greift: Eltern lernen, ihren Standpunkt über das Wie beim Konsum von digitalen Medien selbstbestimmt zu vertreten, ohne sich von dem größeren Wissen ihrer Kinder über das Was der digitalen Möglichkeiten einschüchtern oder verunsichern zu lassen.
In einem Zeitalter, in dem es keine No Digitals mehr gibt, in dem jeder mit der digitalen Netzwelt in Berührung ist, haben die Älteren nicht länger die Rolle der inkompetenten Digital-Verweigerer. Freeager sind sich sehr bewusst, dass die digitale Welt Teil des Betriebssystems einer multidimensionalen Realität ist. Weltflucht zurück in eine totale Offline-Welt begehen nur die resignierten, ablehnenden Silver Zombies. So schafft es die Pro-Aging-Gesellschaft der Zukunft, die Perspektive der Älteren konsequent in die Frage nach dem richtigen Maß mit einzubeziehen, anstatt sie als vermeintliches Opfer eines Digital Age Gap auszuschließen.
Aus der Fusion zwischen der kritisch-anpackenden Haltung der jungen Generation, für die digitale Medien ihr natürliches Habitat sind, und der achtsam-gelassenen Perspektive der Älteren setzt sich ein Verhältnis zu digitaler Technik durch, das man auch als eine vernetzte Spiritualität, als OMline beschreiben könnte: die souveräne Positionierung in der Digitalität in einer Weise, die den inneren Strukturen und Verbindungsmöglichkeiten entspricht. Eine, bei der sich der Mensch selbst bewahrt.